Markója Csilla szerk.: Mednyánszky (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2003/2)
László Mednyánszky im Spiegelbild kunstwissenschaftlichen Schrifttums: wissenschaftliche und kulturhistorische Beiträge - Tünde Császtvay: Garküche, Kothurnen und Horner. Versuche eines Mäzenatentums zur Rettung der Nation und Seele Ungarns um die Wende des 19. Jahrhunderts
TÜNDE CSÁSZTVAY Garküche, Kothurnen und Hörner VERSUCHE EINES MÄZENATENTUMS ZUR RETTUNG DER NATION UND SEELE UNGARNS UM DIE WENDE DES 19. JAHRHUNDERTS An einem späten Frühlingsabend des Jahres 1892 „war die Vergangenheit wieder erwacht und die Gegenwart mit der Zukunft verschmolzen". Der Zauber ereignete sich im Budapester Epreskert (Erdbeergarten), wo sich die Arbeitsräume der Schüler der Musterzeichenlehranstalt und Meisterschule befanden und wo die dort versammelte Menge darüber sinnierte, „wer wohl ihren Traum malen könnte, den sie auch im Wachsein noch träumt." Der verzauberte Berichterstatter des Magyar Szalon meinte dazu: „Alles, was sich die künstlerische Phantasie erdenken kann, was als törichte und bizarre Idee je in einem der Maler der Schöpferkolonie des Epreskert auftauchte und all die Komik und der Humor, die die blasierten Menschen des 19. Jahrhunderts noch beeinflussen können: zogen in harmonielosen, jedoch synchronen Farben, in konfusen, jedoch zusammenfließenden Bildern in jenem Panorama vorbei, das die Kunstliebhaber und Mäzene an einem wundervollen Maiabend zugunsten der Notleidenden aus dem Komitat Árva und zum großen Vergnügen des Publikums veranstalteten." Diesem verzauberten Abend, „an dessen Erfolg die Kunst, die Phantasie und die Poesie gleicherweise ihren Anteil hatten, wohnte ganz Budapest bei. Vertreten waren - fast vollzählig - das Parlament, die Ämter, die Aristokratie, die Finanzwelt, die Literatur und die Kunst." Die Unterhaltungsprogramme des Maskenabends in der Regie des Malers Árpád Feszty entbehrten in der Tat keiner Ideen (Abb. 1). Die eintreffenden Gäste hinterließen ihre Mäntel und Hüte - statt in der Garderobe - einfach im Leihamt. Chinesische und japanische Cafés boten ihre Erfrischungsgetränke an, die Gäste konnten den Venus-Tempel oder die Kunsthalle aufsuchen, um die Budapester Schönheiten in grotesken Masken zu bewundern. Sie konnten einen Spaziergang im Barnum-Museum machen, das „ein reiches Arsenal an wahren Raritäten präsentierte, wo es all das gab, was es geben musste: von Eris' Apfel (eine echte Zwiebel), über Achilles' Ferse (ein abgebrochener Absatz eines zerrissenen Schuhwerks) bis zur Laute Tinódis (ein Brett mit irgendwelchen SchnurSaiten, bearbeitet von Pál Gyulai)". „Ganz originell war die GARKÜCHE von Komárom (Feszty machte dazu extra eine Studienreise), wo unter freiem Himmel Zigeunerbraten zubereitet und dazu Weißbrot geboten wurde, während eine dreiköpfige Bande auf herz- und ohrenbetäubende Weise alte Lieder spielte." Von dem Hexenhof führte der Weg geradewegs in das spiritistische Maler-Atelier, von dort konnte man das griechische Theater erreichen, wo Sophokles' Philoktet gespielt wurde: „Die mit großen Larven auftretenden, über HÖRNER sprechenden und auf KOTHURNEN laufenden jungen Menschen rezitierten laut Gedichte, und die Flammen des Opferaltars und das Licht der elektrischen Lampen machten die steifen Masken lebendig." Über die Bilderlizitationen, das zoologische Museum und die sich an den Bäumen klammernden Bestien hinaus hatte der Abend noch eine ganze Reihe an Überraschungen übrig und war überaus gut gelungen, „die hochrangigen Gäste und die Bürger kamen nicht nur freundlich miteinander aus, sondern vermischten sich auch untereinander." 1 „Garküche" Das Ziel des Abends war - natürlich über die selbstvergessene Unterhaltung hinaus - genau diese Vermischung. Das Vermischen des Publikums unterschiedlicher sozialer Stellung und überhaupt: das Heranlocken des Publikums unter die Künstler, das Auffinden des zahlungskräftigen Publikums und die Möglichkeit seines diskreten oder sehr offenen „Weichkochens" stellten keineswegs ein neues Problem in Ungarn um die Wende des 19. Jahrhunderts dar. Am „Ausklügeln" der Lösung(en) arbeiteten viele, unzählige suchten jahrzehntelang fieberhaft nach heilbringenden Methoden. Die Sache des Mäzenatentums geriet zu dieser Zeit in Ungarn in eine ziemlich spezifische Situation und war mit anderen, miteinander verflochtenen Fragen durch sehr verwickelte Fäden verbunden. Zahlreiche ungarische Erscheinungsformen des Kunstliebhabertums hatten zwar ihre westeuropäischen Vorbilder, sie können dennoch bei weitem nicht nur mit ausländischen Einwirkungen erklärt werden. Die Umstrukturierung der früheren feudalen Gesellschaftsstruktur, d. h. die Auflösung der ständischen Verhältnisse und die Raumgewinnung des Bürgertums verliefen nach dem Ausgleich in Ungarn, das eine relative Selbständigkeit zurückbekommen hatte, in einem viel langsameren Tempo, als die Umgestaltung des politischen Institutionssystems und die Verbreitung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung - schilderte Zoltán Fónagy diese Epoche. „Für die Gliederung der ungarischen Gesellschaft war sogar noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein spezifischer Doppelcharakter kennzeichnend: auf jeder Ebene ist ein dauerhaftes Zusammenleben der alten Elemente feudalen Ursprungs und der neu entstandenen Elemente zu beobachten [...] Die Schlüsselpositionen der Staatsmacht, das höchste gesellschaftliche Prestige und den höchsten sozialen Einfluss besaß immer noch die Aristokratie." 2