Markója Csilla szerk.: Mednyánszky (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2003/2)
Das Leben und die Kunst von László Mednyánszky, mit besonderer Rücksicht auf die Periode vor - Zsuzsanna Bakó: Auf den Wegen Verstoßener herumirrend. Gedanken über die unkonventionelle Porträtmalerei von László Mednyánszky
László Mednyánszky: Spähender Landstreicher in der Nacht (Repr. Ernő Kállai: Mednyánszky. Budapest 1943. Tafel XLIV. Verschollen) tretenden Augen in die Leere, seinem Mund entflieht vielleicht gerade ein Hilferuf. Sein Gesicht ist verzerrt, seine Züge spiegeln ein Gemisch von Angst und Verwunderung wider. Es ist kein Porträt mehr, es ist die Panik selbst. Nicht nur seine sensible Veranlagung, sondern auch die sorgfältige Wahl der Farben, die Kenntnis und Erläuterung ihrer psychischen Bedeutung verhalfen ihm auch zu einem immer vollkommeneren Ausdruck des verzweifelten Seelenzustandes: „Es gibt ein Rostrot, ein bräunliches Schmutzigrot, das die Nerven im höchsten Maße irritiert. Diese Farbe hat etwas Bedrohendes an sich, besonders, wenn sie von anderem Schmutziggrau und von warmen Farben umgeben wird. [...] Die bereits gärenden Emotionen werden vom Rostrot und von der Farbe des geronnenen Blutes entfacht. Es ist die Farbe der meisten Raubtiere." 17 Diese Gefühle werden auch ohne Worte vom Studie eines Vagabundenkopfes (Kat. 217) vor rötlichem Hintergrund vermittelt, obwohl der nach oben gerichtete Blick, die struppigen Haare, der halb geöffnete Mund eher an die Beute als an ein Raubtier erinnern. Sein ganzes Wesen verkörpert die ohnmächtige Wut und das Ausgeliefertsein des am Rande des menschlichen Daseins vegetierenden Menschen. Dieses Bild trägt im Buch von Mihály Sarkantyú den Untertitel Der Verwundete. Bereits die Verleihung dieses Titels deutet auf eine typische Problematik der figürlichen Darstellungen und Porträts hin. Sie wurde von Mednyánszky mit dem Begriff „Umkehrungen und Kreuzungen" bezeichnet, d. h. dass dasselbe Motiv - diesmal die Figur mit zurückgeworfenem Kopf, der an ein verwundetes Tier erinnert - sowohl als Landstreicher als auch als verwundeter Soldat interpretiert werden kann. 18 Mednyánszkys Darstellungen von Landstreicher-Köpfen erwecken eine breite Skala von Gefühlen, von der verzweifelten Wut bis zur sanften Gewöhnung. Der Landstreicher-Kopf Was bringt die Zukunft? (Kat. 132) vermittelt ein Gemisch von Melancholie, Leiden und Aussichtslosigkeit und wie bei den früheren Landstreicher-Porträts, kommt den Augen auch hier eine besonders wichtige Rolle zu. „Ein Gesicht in einer Beleuchtung zu malen, die den Kopf weniger plastisch und materiell erscheinen lässt, wodurch die Augen besonders ausdrucksvoll werden, wäre Seelenmalerei" - schrieb Mednyánszky in seinem Tagebuch. 19 Der Hintergrund dieses Bildes ist dunkel, der Schneefall verwischt ein wenig die Gesichtszüge, und vom geheimnisvollen, gelblichen Licht, das trotzdem auf das Gesicht fällt, werden in erster Linie die Augen belebt, die ausführlicher als jede Bewegung, jede Tat vom stillen Drama zeugen, das sich in den Tiefen der Seele abspielt. Das immer spürbare feine und empfindliche Gleichgewicht des Individuellen und des Allgemeinen, des Spezifischen und des Typischen neigt sich hier zur Dominanz des Typischen. Die Landstreicher sind nicht mehr Individuen mit souveränen Charakterzügen, sondern sie werden zur Verkörperung des Landstreicher-Daseins. Indem Mednyánszky die vergängliche Zeit überwand, erhob er deren Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung „in die Ewigkeit." „Eigentlich ist jeder Mensch interessant, edel und groß, sobald man davon, was an ihm nebensächlich ist, absehen kann. In jedem Menschen verkörpert sich ein Typ von allgemeinem Interesse" - berichtete er an einer Stelle. 20 Seine verstoßenen „Schützlinge" würden so die Aufmerksamkeit der Gesellschaft erlangen. Gerade diese Aufmerksamkeit wurde von seinen stehenden oder sitzenden, rastenden oder lauernden LandstreicherFiguren bis zur beinahe hypnotischen Suggestion der malerischen Ausdrucksweise gesteigert. Der Landstreicher auf dem Bild Nach der Schlägerei (Kat. 87) hält seinen verwundeten Ellbogen. Seine Körperhaltung, sein nach hinten gedrehter Kopf zeugen von Angst, zugleich aber auch von verborgener und schon ausgelebter Aggressivität. Sie spiegeln die Gefühlswelt des verprügelten, erniedrigten und verwundeten Menschen wider. Mednyánszky vermag eine Handlung so darzustellen, dass er das ganze Geschehen in die Dynamik einer einzigen Bewegung oder eines Momentes verdichtet und lediglich durch die Stimmung charakterisiert. „Aber wodurch soll die Handlung im Bild ersetzt werden? Durch eine bestimmte Art von Stimmung, die Allegorie ausgeschlossen." 21 Dann schreibt er bezüglich der dramatischen Wirkung: „Die angestrebte Form wird also nicht so dramatisch sein, ja es soll jede Handlung vermieden werden. Zu deren Ersetzung ist die Stimmung berufen." 22 Auch hier ist eine der wichtigsten Momente der Stimmung die Farbe, die auch Brutalität vollkommen vermitteln kann: „Von allen Farben und allen Farbmischungen sind die gelblichen und bräunlichen Rottöne von erregendster sinnlicher Wirkung. Doch dieses rostbraune Braunrote hat noch eine besondere, eine äußerst böse Wirkung, die sich von anderen, sinnlich erregenden Wirkungen wesentlich unterscheidet. (Diese Farbe passt zu einem erbarmungslos brutalen Thema.)" 23 Das Bild stellt eine Variante zwischen Porträt und Genrebild dar, es ist kein Porträt mehr, weil es zu einem Typ sublimiert wurde, aber es ist auch kein Genrebild, weil es keine Handlung darstellt. Mednyánszky liebte diese Gattung. Seine besten und ausdrucksstärksten Landstreicher-Darstellungen gehören diesem Genre an. Der Landstreicher auf dem Bild Armseliger (Kat. 170) wirkt vor allem durch die Wahl des besonderen Blickwinkels monumental, denn er sitzt auf dem Boden, seine Arme ruhen auf den Knien, seine Figur wird von unten vom Feuer beleuchtet, wodurch seiner zerfetzten Hose und seinem abgequälten Gesicht besondere Bedeutung zukommt. Wie jeder seiner Landstreicher-Figuren, wohnt auch dieser die Vermittlung der Sprungbereitschaft inne. Das prägnanteste Beispiel dafür ist das Bild Spähernder Landstreicher in der Nacht (Abb. 3). Seine Hände hinter dem Rücken, der drohende Ausdruck an seinem Gesicht tragen eine Agressivität, die in jedem Augenblick entfachen kann. Seine Bewegung verdeutlicht zugleich Angriff und Verteidigung. 24 Die lumpigen Landstreicher auf dem Bild Zwei Landstreicher (Kat. 203) erwecken im Betrachter teils infolge der gleichen kompositorischen Lösung, teils infolge der kalten Grüntöne des Hintergrundes ein Gefühl der Angst, des Mitleids, der Hilfsbereitschaft und zugleich der Flucht. Im Vergleich zu ihnen verkörpert der scheinbar in meditativer Ruhe versunkene Landstreicher auf dem Bild Siesta eine Art milde „Unschuld" (Kat. 181). Die Betonung der Gesichtszüge, die hellen Pastellfarben und die zeichnerische Malweise des Werkes Beim Anlehnen (Kat. 216) knüpfen an die Porträts, die der Maler von seinen geliebten Freunden anfertigte, an. Mednyánszkys angeborener Wandererinstinkt und seine masochisti-