Mikó Árpád – Sinkó Katalin szerk.: Történelem-Kép, Szemelvények múlt és művészet kapcsolatáról Magyarországon (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2000/3)

GESCHICHTE - GESCHICHTSBILD - Einführung in die Ausstellung

annimmt, kann jedoch nicht als historische Erinnerung im heutigen Sinne des Wortes betrachtet werden. Man könnte sogar behaupten, die Reliquie sei die Anti­geschichte selbst. Der Reliquienkult lebt in der Welt der Religion bis heute fort, obwohl dem Bildersturm der Reformationszeit große Mengen von Reliquien und da­mit auch von Bildern und Statuen anheimgefallen sind. Es gibt eine These, wonach die Bilderzerstörung, die über die Länder nördlich der Alpen hinwegfegte, als der wesentliche Wendepunkt in der europäischen Zeit- und Geschichtsauffassung anzusehen ist. Trotzdem ist es schwer zu bestimmen, wann genau und warum der ewi­ge „Kreislauf der Zeit", der mit dem Alltag eng verbun­den war, und die Vorstellungen von der geheiligten Ge­schichte endgültig von der linearen Zeitauffassung über­wältigt wurden, die die Zeit nach dem Dreierschema vergangene Dinge, gegenwärtiger Augenblick, kommen­des ewiges Leben gliederte. Damit wurde das bis heute (oder nur bis gestern?) gültige Geschichtsbild, die Idee der Entwicklung, geboren. IL Heilige Könige - königliche Heilige Es ist fast unmöglich, den Augenblick im Mittelalter zu erfassen, in dem hinter dem Bild der Heiligen im Him­mel, in der Ewigkeit, plötzlich der Schatten der örtlichen Tradition sichtbar wurde, als sich das Bild verdoppelte, und als Schattenbild der Nationalheiligen die Geschichte selbst auf den Plan trat. Es ist allgemein bekannt, wie die heiligen ungarischen Könige, Stephan, Emmerich und Ladislaus seit ihrer Heiligsprechung (Ende des 11. bzw. 12. Jh.) der Legitimation der Herrscher dienten, und es ist ebenfalls überliefert, wie und warum die Anjou­Herrscher in Ungarn, die nach dem Aussterben der Arpadendynastie zu Beginn des 14. Jahrhunderts auf den ungarischen Thron kamen, so nachdrücklich beton­ten, daß sie Nachkommen und Erben der heiligen un­garischen Könige waren. Vom Hof Karl Roberts und be­sonders seines Sohnes, Ludwigs des Großen, sind auch künstlerische Zeugnisse des Kultes der heiligen ungari­schen Könige erhalten, so zum Beispiel das Reliquien­ensemble für die Aachener Kapelle zu Ehren Maria und der drei heiligen ungarischen Könige. Ebenfalls in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts sind die einst vor dem Dom von Wardein (Oradea, Rumänien) aufgestell­ten bronzenen Königsstandbilder entstanden. Sigismund von Luxemburg, König von Ungarn und später deutsch­römischer Kaiser, verehrte unter seinen Vorgängern auf dem ungarischen Thron vor allem den heiligen Ladis­laus, den Ritterheiligen. Nachdem der Wahlkönig Mat­thias Corvinus die heilige ungarische Krone von Kaiser Friedrich III. wiedererlangt hatte, setzte er auf sein gro­ßes Majestätssiegel über seine thronende Gestalt - eben­falls mit Absicht der Legitimation - die Bildnisse der heiligen ungarischen Könige. Im Spätmittelalter waren die gekrönten ungarischen Heiligen in Gesellschaft der Madonna, die als Patrona Hungáriáé ebenfalls während der Regierungszeit von Matthias Corvinus auf dem Goldgulden des Königs in Erscheinung trat, zugleich himmlische Garanten des ewigen Lebens und Beschüt­zer des Landes, gewissermaßen seine Symbole. Diese abwechselnde, vielfach nur ahnungsweise vor­handene Doppelgesichtigkeit - die Heiligkeit der Ver­gangenheit und die aktuelle Aussage - versuchten wir in ihrem Verlauf vom ausgehenden 15. lahrhundert bis zur Schlacht bei Mohács (1526), zum Beginn der Türken­herrschaft in Ungarn, zu vergegenwärtigen. Auf den gemalten Tafeln und unter den Figuren der Flügelaltäre erscheinen die heiligen ungarischen Könige allein, zu zweit oder zu dritt, ebenso auf Goldschmiedearbeiten, Kaselkreuzen, in Buchillustrationen und Holzschnitten. Einige Tafelbilder und Holzfiguren haben wir aus un­serer eigenen Sammlung ausgewählt, darunter die eben erst restaurierten Figuren vom Gesprenge des Hochal­tars von Zeben (heute Sabinov, Slowakei), die Heiligen Stephan und Ladislaus, die anscheinend erst nachträg­lich mit der Figur des heiligen Emmerich ergänzt wur­den - weitere Denkmäler stammen aus anderen Samm­lungen. Die Inschriften der Holzschnitte in gedruckten Missalen zeigen die weite Verbreitung des Topos an und erläutern seinen Sinn; jene Holzschnitte hingegen, die Kaiser Maximilian von seinen (größtenteils fiktiven) Ahnen und Verwandten anfertigen ließ, als er zu Beginn des 16. Jahrhunderts den ungarischen Thron erlangen wollte, berichten eindeutig von der Manipulierbarkeit der Vergangenheit und überschreiten eine Grenze, hin­ter der es wirklich keine Spur mehr von Heiligkeit gibt. Wir stellen auch einige Bilder von Heiligen aus, die in Ungarn eine besondere Bedeutung haben: die heilige Eli­sabeth (von Thüringen) aus dem Arpadenhaus und den aus Sa varia in Pannonién gebürtigen heiligen Martin von Tours. Beide wurden europaweit verehrt, aber in Ungarn hielt man sich dabei auch vor Augen, daß sie auf dem Boden Ungarns geboren wurden. Der Kult zweier weite­rer Heiliger entstand auf königliche Initiative: Den Kör­per Pauls des Eremiten erwarb Ludwig der Große 1381 von Venedig anläßlich des Turiner Friedens nach einem Krieg gegen die Adriarepublik, so kam der Namens­patron der Pauliner, des einzigen religiösen Ordens, der im Mittelalter in Ungarn gestiftet worden war, in ihr Mutterkloster von Budaszentlörinc. Den Körper des hei­ligen lohannes Elemosynarius erhielt König Matthias Corvinus 1489 vom türkischen Sultan geschenkt. Die Überreste des Heiligen in einem silbernen Sarg wurden zur hauptsächlichen Reliquie der königlichen Burgkapelle von Buda, und in Anbetracht der Persönlichkeit des Kö­nigs darf man annehmen, daß die Verbreitung des Kultes dieses Heiligen nur wegen des vorzeitigen Todes des Kö­nigs im darauffolgenden Jahr unterblieb. Nach der ver­lorenen Schlacht gegen die Türken bei Mohács flüchtete sich die Priesterschaft der Kapelle mit der Reliquie nach Preßburg, wo sich viel später Erzbischöfe von Esztergom darum kümmerten: Péter Pázmány ließ sie in ein präch­tiges Reliquiar einfassen und Emmerich Esterházy eine Kapelle dafür errichten. Die Verehrung - und die reprä­sentative Rolle - von Johannes Elemosynarius waren auch im 18. Jahrhundert lebendig in Ungarn.

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