Nagy Ildikó szerk.: A Magyar Nemzeti Galéria Évkönyve 1980-1988 (MNG Budapest, 1989)
Buzási, Enikő — Jávor, Anna: BAROCKMONUMENTALITÄT UND BÜRGERLICHE INNERLICHKEIT IN DER UNGARISCHEN MALEREI ZUR ZEIT DER AUFKLÄRUNG
bereits die Zeitgenossen aufgestellt, nach einer Anekdote des Schriftstellers Ferenc Kazinczy soll der alte Maulbertsch „die Hände zusammengeschlagen haben, als er in die Bibliothek trat, und eingestanden haben, so viel könne er nicht". 1 " Von einem Primat des einen vor dem anderen kann allerdings nicht gesprochen werden. Vielmehr handelt es sich hier um drei mögliche Lösungen innerhalb der Gattung und des Stils des Spätbarock, um drei künstlerische Antworten auf die Herausforderung der komplizierten geistigen und politischen Situation des hohen Klerus in Ungarn am Ende des 18. Jahrhunderts. Etwas anders als Esterházy reagierte der Bischof von Szombathely János Szily, eine markante Persönlichkeit des ungarischen antijosephinistischen Klerus und Mitglied der patriotischen Bewegung, auf dem Gebiet der Kunstforderung und künstlerischen Programmgebung. Auch er lud Maulbertsch zur Ausführung repräsentativer Aufgaben ein, er beschäftigte ihn ständig, doch war sein Lieblingsmaler István Dorffmaister aus Sopron. Der Maler akzeptierte die politischen Intentionen seines Auftraggebers voll und ganz, und es gelang ihm auf seinen Fresken und Gemälden, auf denen er meistens die ungarische Geschichte zum Thema hatte, den Widerstand des Adels künstlerisch festzuhalten. Als Meister des klassizisierenden spätbarocken Stils, der „leicht lesbaren" rationalen visuellen Form war er imstande, über die ursprüngliche Zielstellung der Aufgabe hinauszugehen; seine Kunst fand — wie wir es aus den grundlegenden Forschungen von Géza Galavics wissen — Zugang auch zu den radikalen Schichten der ungarischen Aufklärung. 1, Unter den Genres der Malerei der Epoche war das Porträt dazu berufen, die neuen Ideen und die neuen Werte mit erneuerten Ausdrucksmitteln darzustellen und zu popularisieren. Während die sakrale Malerei und hauptsächlich das Fresko ihr Wesen und dadurch ihre führende Position verloren haben, da sie einer Wende in der Betrachtungsweise und des Geschmacks zuliebe auf die Barock-Repräsentation verzichtet haben, erlangte die Porträtmalerei im Dienste bürgerlicher Ziele und einer bürgerlichen Wertauffassung sowie der neuen geistigen Bestrebungen wesentlich vielfältigere Aufgaben als zuvor. In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts trat in dieser Gattung immer intensiver der auftraggeberische Anspruch in den Vordergrund, daß das Porträt außer der Verdeutlichung der gesellschaftlichen Position und des Berufs auch eine politische Stellungnahme, eine geistige Haltung und freundschaftliche Verbundenheit verkörpern soll. Vor allem durch die Anwendung der Druckgraphik spielte das Porträt eine wesentliche Rolle im kulturellen und geistigen Leben des Landes. In jener Bewegung, deren Ziel es auf Anregung Kazinczys war, Porträts malen zu lassen, sind Subjekt und Objekt der Bildnisbotschaften die Möglichkeit und die Form der Aufrcchterhaltung der Kontakte zwischen den Zeitgenossen geworden. Im Zusammenhang mit diesem kulturgeschichtlichen Phänomen muß die Kunstgeschichte vor allen Dingen die Fragen beantworten, wie sich die Gattung seiner neuen Aufgabe anpassen konnte, in welchem Maße sich der Maler und der Auftraggeber auf die vorhandenen Schemata der Gattung und die traditionellen bildnerischen Zeichen stützen konnten, in welchem Maße und in welcher Richtung die Porträtmalerei die Möglichkeiten der bildnerischen Mitteilung auszuweiten suchte, um dadurch den gewandelten Anspruch und die ebenfalls einer Wende unterworfene Betrachtungsweise künstlerisch zu vermitteln. Die folgenden Werke zeigen auch an, wie die geistige Haltung und die geistige Umwelt der dargestellten Person an einem Porträt transparent werden konnten, und welche neuen bildnerischen Mittel dazu angewendet wurden. 14 Der Anspruch auf die Erneuerung des Porträts trat in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts im Zusammenhang mit einer die Gemeinschaft vor Augen haltenden Betrachtungsweise bürgerlichen Charakters in Erscheinung. 15 Diese Betrachtungsweise entstand unter dem wesentlichen Einfluß der demokratischen Ansichten der Freimaurerbewegung, die sich um 1780 auch in Ungarn durchsetzte und einen Aufschwung erlebte. Der Einfluß der Freimaurerbewegung auf die sich verändernde Betrachtungsweise, die auf der Ebene der Gesellschaft gemessen werden kann, bestand zunächst darin, daß die Zusammenkünfte der Logen im ungarischen geistigen Leben erstmals ein Forum der Öffentlichkeit vertreten haben, wo nicht nur über politische Ansichten und Vorstellungen diskutiert wurde, sondern wo die aufgeklärten Vertreter des Adels und der Intelligenz sich erstmals die Bedeutung und die bildungspolitische Kraft eines kulturell und wissenschaftlich sensiblen und offenen geistigen öffentlichen Lebens erleben konnten. Dieser nun zum Bewußtsein gelangte geistige Bedarf bestimmte nicht nur die geistige Atmosphäre und die Arbeit der Logen, sondern nahm gegen Ende des Jahrhunderts auch auf das gesamte kulturelle Geschehen Einfluß. Der Anspruch auf geistiges öffentliches Leben läßt sich in der Wirkung literarischer und gelehrter Gesellschaften erkennen, die um diese Zeit entstanden sind, ferner findet man ihn auch in kleineren literarischen Kreisen der adeligen Salons, deren Mitglieder selbst literarisch tätig waren und die Literatur und die Künste förderten. Die Bürger kamen wiederum in „Lesekabinetten" zusammen, die in ihrer Funktion den späteren Clubs ähnelten und auch eine ähnliche kulturelle und geistige Rolle spielten. Mehr noch als diese Veranstaltungen sprachen die zahlreichen Zeitschriften und Journale mit weitem Horizont die Öffentlichkeit an, die um diese Zeit, in den 80er Jahren gegründet wurden. 16 Im Zusammenhang mit all dem erfuhr auch der Charakter der Beziehungen unter den Zeitgenossen eine Veränderung, das Geistige und das Intellektuelle gewann dabei die Oberhand. Es ist kein Zufall, daß solche um diese Zeit nach Gleichgesinnten suchten, die nicht so sehr wegen ihrer politischen und gesellschaftlichen Position und Laufbahn Sympathien hervorzurufen vermochten, sondern deren geistige Haltung, sowie kulturelles und wissenschaftliches Interesse Gemeinsamkeiten aufwiesen. Die geistige Verwandtschaft wurde, vereint mit dem Ideengut der Freimaurer, eines der wichtigsten kontaktbildenden Motive der Zeit. Bei der Einrichtung seiner Bibliothek in Marosvásárhely (Tîrgu Mures, Rum.) stellte Graf Sámuel Teleki eine Porträtgalerie aus den Bildnissen seiner Zeitgenossen zusammen, die — wie er — eine Sammlung, hauptsächlich aber eine Bibliothek gegründet haben, die das wissenschaftliche Niveau der Zeit vertreten haben. '• Auf eine ähnliche Absicht, nämlich auf die Sympathie zwischen Zeitgenossen, läßt sich die Bestellung eines mit Teleki im Zusammenhang stehenden Doppelporträts, ein in Ungarn ziemlich seltener Typ, zurückführen. 1 Auf dem Bildnis des Vizekanzlers Sámuel Teleki, einem Werk von Johann Martin Stock, erscheint das Porträt des