Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 51. (2004)

FISCHER, Robert Tarek: Ballhausplatz und Davidstern. Die k. u. k. Diplomatie und die österreichisch-ungarischen Juden Palästinas in der Krisenzeit des Ersten Weltkrieges 1914–1918

Ballhausplatz und Davidstern schließlich bot er dem k. u. k. Ministerium an, Maria-Theresientaler im Wert von 200 000 bis 250 000 Kronen für die acht Gemeinden bereitzustellen,46 aber als Jerusalem wenige Wochen später in die Hand britischer Truppen fiel, wurde das Projekt einer staatlichen Unterstützung für die österreichisch-ungarischen Juden Palästinas nicht mehr weiterverfolgt. Eine weitere staatliche Initiative betraf die Reorganisation der Spendenverteilung in Palästina. Angesichts der wachsenden Not zielten das k. u. k. Ministerium des Äußern und das Konsulat in Jerusalem im Frühjahr 1916 darauf ab, die begrenzten Geldmittel effizienter einzusetzen und der kostspieligen Praxis der acht Gemeinden, den Lebensmittelankauf getrennt voneinander durchzuführen, entgegenzutreten. Da sich durch Großeinkäufe bessere Preise erzielen ließen, sollte der Lebensmittelankauf für alle jüdischen Schutzbefohlenen in der Region fortan von einer zentralen Stelle, nämlich dem Konsulat, vorgenommen werden.47 Bei den Gemeindeoberhäuptern stieß das Vorhaben des Staates auf einigen Widerstand. Die Vorsteher der etwa 3 000 Personen umfassenden ungarischen Gemeinde etwa wollten auf das Privileg der Geldverteilung keinesfalls verzichten und protestierten heftig gegen das Vorhaben des Staates. Kraus sah sich daraufhin gezwungen, sich mit einer Kundmachung direkt an alle Gemeindemitglieder zu wenden und ihnen mitzuteilen, dass das Konsulat fortan mit den ungarischen Spendengeldern Fleisch, Sesamöl, Milch, Hülsenfrüchte und Holzkohlen (als landesübliches Heizmaterial) kaufen werde. Dieses Angebot war für die ungarischen Juden, die bislang lediglich ungenügende Mehlrationen bekommen hatten, zu verlockend, um ignoriert zu werden. Obwohl einige Gemeindevorsteher zunächst versuchten, gegen Kraus’ Kundmachung Stimmung zu machen, meldeten sich schließlich fast alle Mitglieder der ungarischen Gemeinde beim Konsulat um Unterstützung an. In weiterer Folge gaben die Vorsteher ihren Widerstand gegen das Vorhaben des Konsuls auf.48 Sowohl der Ankauf 46 HHStA, PA XII 378, Mappe k, fol. 63, k. u. k. Finanzministerium an k. u. k. Ministerium des Äußern, Wien 1917 Oktober 1. 4 Das Vorhaben ist überdies in dem Kontext des starken Wertverlustes zu betrachten, dem die Spendengelder auf ihrem Weg nach Palästina unterworfen waren. Zunächst mussten die Kronen in das stark inflationäre osmanische Papierpfund umgewechselt werden, da nur solches in Banken und öffentlichen Ämtern des Osmanischen Reiches ausbezahlt wurde, ln weiterer Folge war ein Umtausch der osmanischen Banknoten in Gold erforderlich, weil die arabischen Bauern und Beduinen ihr Getreide fast nur noch gegen Goldzahlung verkauften. Der im Verlauf dieser Transaktionen entstehende Kursverlust war enorm, im August 1916 etwa erfuhren die Spendengelder auf ihrem Weg zu den Empfängern eine Wertminderung von 55 Prozent (HHStA, PA XII 380, Mappe 2, fol. 152). 48 HHStA, Konsulatsarchiv Jerusalem 132, fol. 670, Kraus an Sandor Lederer, Jerusalem 1916 April 17. 317

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