Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 50. (2003) - 200 Jahre Russisches Außenministerium

LEITSCH, Walter: Die ersten 300 Jahre in den Beziehungen zu Österreich

Walter Leitsch sehr nachteiligen Weise die Grundtendenz der Außenpolitik der Zaren bestimmte.19 In diesen Zeiten, als die Moskauer von Polen und die Kaiserlichen vom Osmani- schen Reich sprachen, als man aneinander vorbeiredete, gab es zwischen den beiden Problemen einen wesentlichen Unterschied: Die Moskauer wollten Gebiete erwer­ben, ihre Taktik war offensiv, während sich die Habsburger bis zur Belagerung Wiens im Jahre 1683 nur eine defensive Politik gegenüber dem Osmanischen Reich leisten konnten. Defensive Taktik war mitunter schwer mit offensiver abzustimmen. Dabei muss man bedenken, dass schon allein die Art osmanischer Kriegsführung bewirkte, dass die vernünftigen Anrainer stets daran interessiert waren, mit den Osmanen in Frieden zu leben und eigentlich heimlich immer froh waren, wenn ein anderer Anrainer den verheerenden Angriffen ausgesetzt war. Es war daher sehr schwer, eine Liga zu bilden, denn lebte der Kaiser, als er in Wien residierte, im direkten Gefahrenbereich, während die Polen und Russen nur den verheerenden Angriffen der Tataren ausgesetzt waren. Diese waren verlustreich und lästig, aber nicht existenzbedrohend. Hätte es die Einseitigkeit in der Außenpolitik des Mos­kauer Staates nicht gegeben, wäre es dennoch schwierig, vielleicht sogar unmöglich gewesen, vor dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts eine Türkenliga zu bilden - denn war das Osmanische Reich noch zu stark.20 Für den Kaiser brachte andererseits eine Politik der Reduzierung von Macht und Territorium Polen-Litauens keinen Nutzen, denn auch dieses Land sollte für eine Politik gegen die Osmanen stark sein - und bündnisbereit, doch hatten die Polen und Litauer mehr Angst vor den Moskauern als vor den Osmanen, haben es ver­standen, Konflikte mit den Osmanen mit großem Geschick zu vermeiden. Doch dann starb die Dynastie aus (1572). Ein König bzw. Großfürst musste gewählt wer­den. Habsburger und Zaren bzw. Mitglieder der Zarenfamilie traten als Kandidaten hervor, doch zu einer Rivalität, die den Beziehungen zwischen den beiden Fürsten­häusern hätte schaden können, kam es nicht. Gelegentlich haben die Moskauer den Polen sogar die Wahl eines Habsburgers empfohlen, falls ihr eigener Kandidat kei­ne Aussichten haben sollte. So ganz kann ich nicht verstehen, was sich die Moskau­er davon versprachen, wenn ein Vertreter einer so mächtigen Familie König von Polen wird. Im Laufe von 16 Jahren (1572-1587) gab es drei Königswahlen. Die ersten beiden der gewählten Könige gehörten zu den Feinden der Habsburger, der dritte zu den Feinden der Moskauer, die noch lange hofften, die Habsburger würden sich aufraffen, den 1587 in einer Doppelwahl gewählten Erzherzog kräftig zu unter­stützen. Sie taten es nicht. Gleichgültig, wie ein solcher Konflikt ausgehen hätte können, wären die Moskauer über einen Krieg zwischen Polen und den Habsbur­19 Siehe die entsprechenden Abschnitte in den beiden in Anm. 14 zitierten Werke. 20 Leitsch, Walter: Warum wollte Kara Mustafa Wien erobern? ln: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 29 (1981), S. 494-514; Derselbe: II dolce suono della pace. Der Kaiser als Vertrags­partner des Königs von Polen im Jahre 1683, in: Studia Austro-Polonica 3 (1983), S. 165-197 (=Zeszyty naukowe Uniwersytetu Jagiellonskiego 672. Prace Historyczne 75); Derselbe: Ru­dolph II. und Südosteuropa, 1553-1606, in: East European Quarterly 6 (1972), S. 301-320. 72

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