Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

LILLA, Joachim: Die Vertretung Österreichs im Großdeutschen Reichstag

Joachim Lilla (Reichsgesundheitsführer und Staatssekretär im Reichsministerium des Innern) gerade im Wahlkreis Österreich mit einem Reichstagsmandat zu versorgen waren, lässt sich wohl nicht mehr erhellen. Das Gleiche gilt für die Frage, warum der Wahlvorschlag von 1938 ab 1940 zeitweise nicht weiter ausgeschöpft wurde, statt- dessen „neue“ Kandidaten auf dem Wahlvorschlag „fortgeschrieben“ und dann berufen wurden. Denkbar wäre, dass im Zusammenhang mit den ja nicht unbe­kannten Macht- und Rivalitätskämpfen innerhalb der Führungszirkel der NSDAP bestimmte Personen zusätzlich mit einem Reichstagsmandat versorgt werden soll­ten. Eine Erklärung könnte ferner sein, dass nach der Ernennung neuer Gauleiter in Wien (Baldur von Schirach) und Salzburg (Dr. Gustav Adolf Scheel) 1940 bzw. 1941 diese zusätzliche Personalwünsche äußerten. Letzte Gewissheit hierüber kann jedoch wohl nicht (mehr) erlangt werden. Wie das Verfahren dann ablief, lässt sich an einem Einzelfall festmachen: Nach dem Ausscheiden des Abgeordneten Esel im März 1941 sollte nach dem Wunsch des zuständigen Gauleiters Dr. Jury der NSDAP-Kreisleiter von Stockerau, Konrad Hammetter, der nicht auf dem Wahl­vorschlag 1938 stand, nachrücken. Jury wandte sich mit diesem Anliegen offenbar direkt an Reichsleiter Martin Bormann. Bormann trug die Sache dem Führer vor, der „mit der Berufung des Pg. Hammetter einverstanden war“73. Ähnlich verhielt es sich mit dem Nachfolger des 1943 ausgeschiedenen Abgeordneten Hönisch, Brau­ner, der ebenfalls — ohne auf dem Wahlvorschlag 1938 zu stehen - auf dem Wege über Bormann sein Mandat erhielt74. Im Fall Hönisch zeigte sich aber auch, wie andere Interessenten versuchten, das frei werdende Mandat zu reklamieren. Die Oberste SA-Führung beanspruchte das Mandat für sich, weil Hönisch SA-Führer war; das Mandat sollte SA-Obergruppenführer Wilhelm Freiherr von Schorlemer erhalten75. Angesichts der Bedeutungslosigkeit des Reichstages, der zwischen 1938 und 1942 (nach der Wahl vom 10. April 1938 erstmals am 30. Januar 1939!) nur acht­mal zusammentrat76, lediglich um Verlautbarungen Hitlers entgegenzunehmen oder vereinzelte Gesetze zu akklamieren, erstaunt das doch recht große Interesse an einer Mitgliedschaft in dieser Körperschaft. Einmal waren es finanzielle Aspekte, die eine Mitgliedschaft im Reichstag attraktiv machten: 600 RM Diäten pro Monat und vor allem die Freifahrkarte der Reichsbahn. Auch hatte ein MdR immer noch 73 BA NS 46/12 fol. 91. 74 Ebenda,fol. 253. 75 Ebenda, fol. 251.-Schorlemer gehörte dem Reichstag bereits von Nov. 1933 bis 10. Juli 1934 an. Eine erneute Berufung ist dann nicht mehr erfolgt. 76 Am 30. Januar, 28. April, 1. September, 6. Oktober 1939, 18. Juli 1940, 4. Mai und 11. Dezember 1941, 26. April 1942 (letzte Sitzung). - Vgl. Hahn, Gerhard: Die Reichstagsbibliothek zu Berlin - ein Spiegel deutscher Geschichte. Düsseldorf 1997, S. 408-413 (dort recht aufschlussreiche Aufzeichnungen von Dr. Rudolf Buttmann MdR über das recht geheimnisvolle Prozedere der Einberufung der jeweiligen Sitzungen). 248

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