Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

LILLA, Joachim: Die Vertretung Österreichs im Großdeutschen Reichstag

Joachim Lilla dung von Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß im Juli 1934 zunächst zum Tode, dann zu zeitigem oder lebenslangem Kerker begnadigt worden sind. Aufschlussreich ist auch eine Betrachtung der den österreichischen Abgeordneten 1938 fest zugeteilten Sitze im offiziellen Sitzungssaal des Reichstages in der Krol- loper71. In den ersten sechs Reihen war die NSDAP-Partei„prominenz“ vertreten, sofern sie nicht gar auf der Regierungsbank saß. Von den rund 200 Plätzen dieser Reihen entfielen 17 auf österreichische Abgeordnete: zum einen die 13 Abgeord­neten aus der schon mehrfach genannten „Liste I“ - wobei Reichsstatthalter Dr. Seyß-Inquart als Einziger in der ersten Reihe saß -, ferner vier weitere Abgeord­nete, die mittlerweile in der Parteihierarchie aufgestiegen waren: die Gauleiter bzw. Stellv. Gauleiter Eigruber, Hofer, Scharizer und Uiberreither. Die restlichen 56 Abgeordneten verteilten sich wie folgt: acht saßen in den Reihen 11 bis 13, die übrigen 48 verteilten sich auf die rückwärtigen (oder auf der Empore gelegenen) Reihen 14 bis 21. Also saß das im Reichswahlvorschlag auf der „Liste III“ platz­ierte Gros der österreichischen Abgeordneten im Plenum des Reichstags ebenfalls auf abgelegener Stelle (Abbildung 3). IV. Die Besetzung erledigter Reichstagsmandate Zwischen 1938 und 1945 erledigten sich 18 Reichstagsmandate im Wahlkreis Österreich: 13 durch Tod, fünf durch so genannte Niederlegung72 der Mandate. Von diesen 18 erledigten Mandaten wurden 14 durch den Fraktionsvorsitzenden Frick wieder besetzt, die vier übrigen (1944 und 1945 frei gewordenen) Mandate hinge­gen offenbar zeitbedingt nicht mehr. Bei den neu besetzten Mandaten standen sechs Nachrücker auf dem Wahlvorschlag von 1938 (Dokumentation Anhang I a), sieben weitere Nachrücker wurden auf dem Wahlvorschlag bis 1943 „fortgeschrieben“ (Dokumentation Anhang I b) und ein Nachrücker (Gasthuber) wurde quasi „aus der hohlen Hand“ herbeigezaubert. Von den Nachrückem stam­men bis auf zwei (Behrends und Conti) alle aus dem Wahlkreis Österreich. Auf­fallend ist weiter, dass die Gauleiter darauf achteten, ein frei werdendes Mandat aus ihrem Gau möglichst wiederum mit einem Kandidaten aus dem betreffenden Gau zu besetzen, was im Großen und Ganzen auch gelang. Die Behandlung der erledigten Mandate im Einzelnen lässt sich im Großen und Ganzen nur stichwortartig wiedergeben; dennoch lässt sich in drei Fällen (Esel, Hönisch und Kalcher) anhand der bruchstückhaften Schriftgutüberlieferung der NSDAP-Reichstagsfraktion im Bundesarchiv das Geschehen detaillierter darstel­len. 71 Vgl. Kienast: 1938, S. 559-565. Für die in den folgenden Jahren eingetretenen Veränderungen in der Sitzverteilung liegen keine Informationen mehr vor. 72 So die offizielle Lesart im RT-Verzeichnis 1943/45. Die Niederlegung dürfte jedoch in der Regel unfreiwillig erfolgt sein, wie die später dargestellten Einzelfälle erkennen lassen. 246

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