Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

LILLA, Joachim: Die Vertretung Österreichs im Großdeutschen Reichstag

Die Vertretungen im Grossdeutschen Reichstag Der als „Liste des Führers“42 * apostrophierte Reichswahlvorschlag hatte folgenden Aufbau41: Die Nummern 1 bis 5 umfassten Hitler, Heß, Göring, Frick und Goebbels (wobei gegenüber 1936 der Tausch der Rangplätze 3 und 4 zwischen Frick und Göring auffallt), auf den Nummern 6 bis 73 (in Hinkunft „Liste I“) folgten in wei­terhin alphabetischer Reihenfolge die weiteren Reichsminister, Reichsleiter, Gau­leiter und vergleichbare Chargen, darunter auch die Mitglieder der österreichischen Landesregierung sowie herausragende Repräsentanten der NSDAP oder ihrer Glie­derungen in Österreich, als Nummern 74 bis 745 (in Hinkunft „Liste II“) folgte im Großen und Ganzen in alphabetischer Reihenfolge die vorherige „Einheitsliste“, von der die meisten Bewerber schon dem aufgelösten Reichstag angehört hatten. Als Nummern 747 bis 1 717 (in Hinkunft „Liste III“) folgten in ebenfalls alphabe­tischer Reihenfolge weitere Bewerber um ein Reichstagsmandat, darunter alle Kandidaten aus dem Wahlkreis Österreich, sofern nicht schon in „Liste I“ aufge- fiihrt. Den Schluss der „Liste des Führers“ bildeten die Nummern 1 718 bis 1 724 mit Nachträgen in offensichtlich letzter Minute, die alle - mit einer Ausnahme - ebenfalls aus Österreich stammten44. Nach § 23 Abs. 1 Reichswahlgesetz hätte der Reichswahlleiter45 den Reichswahl­vorschlag spätestens am 11. Tage vor der Wahl am 10. April, also spätestens Ende März veröffentlichen müssen. Dies war anscheinend zeitlich nicht möglich, denn die Veröffentlichung erfolgte erst im Reichs- und Preußischen Staatsanzeiger am 7. und 8. April 1938 (was aber damals kein Wahlhindemis darstellte). Obgleich hierfür Quellenbelege fehlen, dürfen wir annehmen, dass die verspätete Veröffent­lichung auch etwas mit der Aufstellung der österreichischen Reichstagsbewerber zu tun haben dürfte. In Österreich gab es in den ersten Wochen nach dem Anschluss nur eine rudimentäre NSDAP-Organisation, alle organisatorischen Kräfte wurden zunächst, wie schon gesagt, für die möglichst erfolgreiche Durchführung der Volksabstimmung eingesetzt. Auf dem Reichswahlvorschlag waren insgesamt 180 Personen aus Österreich enthalten, also gut 10,4 Prozent der 1 724 Personen umfassenden „Liste des Füh­rers“46. Auf der „Liste I“ standen 13 Bewerber aus Österreich, an ihrer Spitze der 42 Dies geht möglicherweise auf die Bestimmung des § 2 des Gesetzes vom 18. März 1938 getroffe­ne Regelung zurück, dass der Reichswahlvorschlag „durch einen oder mehrere Bewerber“ ge­kennzeichnet werden kann. 41 Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger Nr. 82 und 83, 7. und 8. April 1938, hiernach Kienast: 1938 S. 47-120. 44 Sämtliche österreichische Bewerber um ein Reichstagsmandat 1938 sind in der biographischen Dokumentation unter Anhang 1 a) abgedruckt. 45 Dieses Amt bekleidete der Reichsminister des Innern Dr. Wilhelm Frick, der als Vorsitzender der Reichstagsfraktion zugleich über die Zuteilung der Mandate zu befinden hatte. 46 Hiermit lag der personelle Anteil Österreichs an den Reichstagsbewerbem knapp zwei Prozent­punkte über dem Anteil der Bevölkerung Österreichs an der Reichsbevölkerung (etwa 8,6 %). 237

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