Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)
GRÖBL, Lydia – HÖDL, Sabine – STAUDINGER, Barbara: Steuern, Privilegien und Konflikte. Rechtsstellung und Handlungsspielräume der Wiener Juden von 1620 bis 1640. Quellen zur jüdischen Geschichte aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs
Steuern, Privilegien und Konflikte in deren Abwesenheit den landesfiirstlichen Gubernatoren oder derjenigen Obrigkeit, die damit beauftragt wurde. Weiters wurde ihnen zugestanden, in Wien frei ein- und auszugehen und zwar ohne die Verpflichtung, sich durch das Anbringen eines gelben Rings auf der linken Brustseite des Obergewands als Juden erkennbar zu machen. Gemäß ihrem jüdischen Glauben durften die Juden ein eigenes Bad und eine duckgruben, ein rituelles Frauenbad, eine Fleischbank mit dem dazugehörigen Personal sowie eine Synagoge errichten. Auch die Stellen eines Rabbiners, Kantors, Schreibers, Schulklopfers und jeglichen anderen für das Funktionieren einer jüdischen Gemeinde notwendigen Personals sollten besetzt werden. Den Juden wurde verboten, unbefreite oder fremde Juden zum dauernden Aufenthalt aufzunehmen. Sie wurden von der Einquartierungspflicht für Militär oder Hofpersonal befreit. Trotz der Übersiedlung in das Ghetto durften die Wiener Juden ihre Geschäftslokale innerhalb der Stadt (am Kienmarkt) behalten.1'4 Ausländischen und fremden Juden wurde jeglicher Handel in der Stadt untersagt. Frühere Bestimmungen zu den Maut- und Zollgebühren beim Handel wurden bestätigt.1’5 Diesem Patent war eine Supplikation der Wiener Juden vorausgegangen. Sie begründeten ihre Wünsche damit, dass sie auf Grund der Umsiedlung in den Unteren Werd und dem damit zusammenhängenden Erwerb von Häusern und Grund, über etliche 30 000 gulden ausgegeben hätten. Hinzu kämen noch die Kosten für die Errichtung einer Ringmauer zu unserer undt der unserigen mehrerer notwendiger Vorsehung. Da sie zweimal täglich den Weg von ihrem neuen Wohnort in die Stadt und zurück gehen mussten, hätten sie einen Einkommensverlust. Auf Grund der Tatsache, dass sie keinen Grund und Boden - wohl für Viehhaltung und Weingärten — besaßen, konnten sie Geld nur durch die schon bisher ausgeübten Geschäfte erwerben. Weiters argumentierten sie, dass ihre Handelstätigkeit, weil sie Waren mitunter günstiger anboten als andere Kaufleute, allen zugute käme.* 155 156 Offenbar ging der Bau einer Mauer auf einen Entschluss der jüdischen Gemeinde zurück. Bereits im Februar 1625 hatten sie darum angesucht, zur besseren räumliche Abgrenzung von den Christen eine Mauer errichten zu können, was der Kaiser 134 Bericht der beiden Gutachter über die jüdischen Geschäftsgewölbe an den Kaiser, o. D. [vor dem 8. März 1625], in Pribram: Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 92, Nr. 55. 155 Patent Ferdinands II. über die Geschäfte und den Handel der Juden, 8. März 1625, AVA, Salbuch Nr. 27, fol. 513r—516r. Druck bei Pri bra m : Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 93-96, Nr. 56. 156 Supplikation der Juden [vor dem 8. März 1625], In: Wolf: Juden in der Leopoldstadt (wie Anm. 1), S. 70, Beilage II und S. 14. In diesem Zusammenhang ist daraufhinzuweisen, dass sämtliche Materialien, die mit dem Umzug der Juden in den Unteren Werd Zusammenhängen nicht mehr im Original, sondern nur noch gedruckt bei Pribram und Wolf vorliegen. Da diese Akten ursprünglich im Bestand des Innenministeriums waren, dürften sie beim Justizpalastbrand verloren gegangen sein. 173