Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48. (2000)

GRÖBL, Lydia – HÖDL, Sabine – STAUDINGER, Barbara: Steuern, Privilegien und Konflikte. Rechtsstellung und Handlungsspielräume der Wiener Juden von 1620 bis 1640. Quellen zur jüdischen Geschichte aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs

Lydia Gröbl - Sabine Hödl - Barbara Staudinger ganzes Gebäude, den sogenannten „Pempfingerhof1 (Seitenstettengasse 4), zu mieten, begannen kurz darauf Verhandlungen der jüdischen Gemeinde mit dem Magistrat der Stadt Wien, dem Schottenstift und dem Kaiser um den Kauf eines Hauses, um darin die Gemeindesynagoge unterzubringen. Schlussendlich durften die Juden ein Haus erwerben und im Inneren eine Synagoge unterbringen, aller­dings mit der Auflage, dass das Gebäude äußerlich nicht verändert und damit zu einem kirchen- oder tempelähnlichen Bau werde.130 Dies führte jedoch bereits ein Jahr später zu Beschwerden, da den Juden vorgeworfen wurde, „fast einen Tempel zu erbauen“. Daraufhin sollte nicht nur dieser Fall, sondern die Freiheiten der Ju­den generell überprüft werden - gemeinsam mit der Überlegung, ob sie nicht an einen anderen Ort transferiert und damit von den Christen separiert werden könn­ten.131 Im Juni 1624 wurde der Hofkriegsrat damit beauftragt, einen Ort ausfindig zu machen, an den die Juden übersiedelt werden könnten.132 Dieser war offenbar rasch gefunden und am 6. Dezember 1624 stellte Ferdinand II. ein Patent aus, das den Juden Wohnungen im Unteren Werd (heute 2. Wiener Gemeindebezirk, Leo­poldstadt) zuwies und zudem eine neuerliche und erweiterte Privilegierung ent­hielt.133 Gleichzeitig nahm Ferdinand II. die Juden erneut in seinen Schutz und Schirm auf und garantierte damit der Gemeinde weiterhin Rechtssicherheit. Sie sollten mit ihren Familien und Angestellten im Unteren Werd wohnen und nur so viel Steuern bezahlen, wie von den christlichen Vorbesitzem geleistet worden wa­ren bzw. wie es mit dem Magistrat ausgemacht wurde. Weiters wurde eine Befrei­ung von allen bürgerlichen Kontributionen, Steuern, Hilfsgeldem und Sonderforde­rungen ausgesprochen, wie auch ausdrücklich betont wurde, dass die Juden der alleinigen Jurisdiktion des Kaisers bzw. des Obersthofmarschalls unterstanden und 130 Hierzu ausführlicher Hödl: Geschichte (wie Anm. 3), S. 158-161. Materialien zu diesem Fall finden sich im AVA, Alter Kultus - Israeliten, Karton Nr. 2 (IV T 5), fol. 2-34, im AVA, Salbuch Nr. 27, fol. 475v-480\ und teilweise in Druck bei Pribram: Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 64-76, Nr. 40/I-IX. Das entscheidende Patent vom 7. Oktober 1622, mit dem Ferdinand 11. den Kauf bewilligte, liegt außerdem in Abschrift im Niederösterreichischen Landesarchiv, Ständische Akten, B-VII1-1/1, fol. 20I'-205r (alt: 424'-429'). Ein Original befindet sich im Archiv des Schottenstifts in Wien. Siehe hierzu Quellen zur Geschichte der Stadt Wien Bd. 1/3. Wien 1897, S. 107, Nr. 2723. Sowohl der Wunsch der Juden nach einem „abgelegenen“ Haus wie auch die Auflage, daß das Gebäude äußerlich nicht als Synagoge erkennbar sein dürfe, zeigt, wie wesentlich es beiden Seiten erschien, dass Juden bzw. die von ihnen erworbenen Rechte nicht zu „auffällig“ wurden. Zu den folgenden Ausführungen siehe auch Kaufmann: Vertrei­bung (wie Anm. 1), S. 1-18; Pribram: Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. XXIX-XXXVI1, und Tietze: Die Juden Wiens (wie Anm. 1), S. 51 ff. 131 Dekret an einige geheime Reichshof- und niederösterreichische Regimentsräte, 26. Juni 1623, Druck bei Pribram : Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 79 fi, Nr. 45. 132 Dekret an den Hofkriegsrat, 10. Juni 1624, in Pribram: Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 83, Nr. 50. 133 Patent Ferdinands II., 6. Dezember 1624, Abschrift im AVA, Oberste Justiz, Karton Nr. 136, Hofkommission, Alte Miscellanea, Fasz. Lit. J., Nr. 915. Druck bei Pribram: Urkunden (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 84-88, Nr. 52. 172

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