Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 47. (1999)
ENDERLE-BURCEL, Gertrude – MÄHNER, Peter – MENTZEL, Walter: Die Ministerratsprotokolle der Regierung Figl I. Ein Editionsprojekt der Österreichischen Gesellschaft für historische Quellenstudien
Gertrude Enderle-Burcel, Peter Mähner und Walter Mentzel tiven zu setzen, um das Gesetz des Handelns an sich zu ziehen. In der Frage der Außenhandelspolitik, in der Frage der Wiedergutmachung, der Rückstellungsgesetze, wo Bedacht genommen wurde, den Einfluß der Alliierten nicht nur zurückzudrängen, sondern überhaupt zu umgehen, aber auch bei der Frage der „öffentlichen Verwalter“7 8, kann gezeigt werden, daß trotz Sachzwängen und Anordnungen der Militärverwaltung für die Regierung ein nicht unwesentlicher Handlungsspielraum vorhanden war. Darüber hinaus werden in den Protokollen in einem hohen Ausmaß die Interessengegensätze zwischen den Regierungsmitgliedem und den Parteien deutlich, die bereits Anfang Februar 1946 in einem außerordentlichen Ministerrat gipfelten, nachdem ein Regierungsmitglied die Alliierten über die geplante Vorgangsweise („besagte Taktik“) der Regierung in der Frage der „öffentlichen Verwalter“ informiert hatte.* Durch die Konstituierung des Parlaments im Dezember 1945 gelangte ein neuer Machtfaktor auf die politische Bühne. Seine Stellung im Mächtespiel zwischen Regierung und Alliiertem Rat mußte erst definiert werden. Von Seiten der Regierung ist eine bevormundende Vorgangsweise bei der Konstituierung der parlamentarischen Einrichtungen festzustellen. In den ersten Sitzungen des Ministerrates standen laufend Fragen über die Form und den Ablauf der parlamentarischen Arbeit auf der Tagesordnung, während sich in den Stenographischen Protokollen des Parlamentes kaum Debatten über die eigene Geschäftsordnung wiederfinden. Die Diskussionen im Ministerrat zeigen besonders deutlich den von der Regierung dem Parlament zugeschriebenen geringen Stellenwert. Die Ministerratsprotokolle bieten interessante und aufschlußreiche Hinweise zum Verhältnis Regierung und Parlament. Das Selbstverständnis der Regierung kommt in einer signifikanten Wechselrede zwischen Bundeskanzler Leopold Figl und Vizekanzler Adolf Schärf über einen parlamentarischen Antrag zu Fragen der Registrierung und der Amnestie ehemaliger Nationalsozialisten zum Ausdruck. Schärf äußerte sich über die Aufgabe des Parlaments in diesem Zusammenhang: „Die Absicht des Antrages Speiser sei nicht, der Regierung das Verordnungsrecht zu nehmen, sondern im Gegenteil: das was die Regierung tue, in einen weiteren Rahmen zu stellen und zu dem, was die Regierung dann erläßt, noch den Segen des Parlamentes dazuzugeben.“9 Daraufhin Figl zu der in dieser Frage beabsichtigten Aussprache der Regierung mit den Alliierten: „Den Alliierten könne man ruhig sagen, das sei die Meinung des Parlamentes, denn im Parlament seien dieselben drei Parteien vertreten.“10 7 Protokoll Nr. 6 vom 30. Jänner 1946. 8 9 10 Protokoll Nr. 6a vom 1. Februar 1946. Protokoll Nr. 7 vom 5. Februar 1946. Ebenda. 274