Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 47. (1999)

STÖGMANN, Arthur: Die Erschließung von Prozeßakten des Reichshofrats im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien. Ein Projektzwischenbericht

Bernhard Diestelkamp hat kürzlich mit Blick auf einige Beispiele aus den RKG- Prozeßakten deren Auswertung im Hinblick auf allgemeinhistorische Erkenntnisse sogar als bedeutender eingestuft als im Hinblick auf rechtshistorische.18 Dazu gibt es in den Prozeßakten Material, das häufig in anderen Quellenarten nicht oder nicht in diesem Ausmaß überliefert ist. Insbesondere gilt dies für die Aktenbeilagen, die von Urkundenabschriften, Testamenten, Druckschriften, Rechtsgutachten, Proto­kollen von Verhören und Befragungen19, Urbaren und Grundbuchsauszügen bis hin zu Landkarten und Plänen20 ein breites Quellenspektrum für verschiedene histori­sche Disziplinen, wie die Sozial-, Wirtschafts-, Kunst-, Kultur- und Kirchenge­schichte sowie nicht zuletzt die immer stärker in den Vordergrund tretende Menta- litäts- und Alltagsgeschichte darstellen. Neben der ideologisch motivierten Vernachlässigung vor allem derjenigen Reichsinstitutionen, die eine besondere Nähe zum Kaiser aufwiesen, durch die auf den Nationalstaat ausgerichtete Geschichtswissenschaft bis 19452', dem dürftigen Interesse der Rechtshistoriker, für das Wolfgang Sellert die Besonderheiten des reichshofrätlichen Verfahrens verantwortlich gemacht hat22, sowie der „ab­schreckenden“ Masse der Quellen23, liegt ein Grund für die Defizite in der Erfor­schung des Reichshofrats im unbefriedigenden Erschließungszustand der Akten. Die Erschließung von Prozeßakten des Reichshofrats 18 Diestelkamp, Bernhard: Reichskammergerichtsprozesse als historische Quellen. In: Friedens­sicherung und Rechtsgewährung, S. 103-116, hier S. 103. 19 Diese liefern häufig detaillierte Angaben nicht nur über den jeweiligen Streitfall, sondern über Alter, Beziehungsnetz, Vermögensverhältnisse u. a. der befragten Personen, woraus wichtige so­zialgeschichtliche Erkenntnisse gewonnen werden können. Als Beispiel aus der vorliegenden Be­arbeitung des WolFschen Repertoriums sei ein Fall genannt, in dem es zu umfassenden Zeugen­befragungen kam, die wiederum Aufschlüsse über verschiedene Aspekte des religiösen und so­zialen Lebens an der Schnittstelle der jüdischen und der christlichen Kultur geben: Datenbank [in Hinkunft: DB] „RHR“, Datensatz [in Hinkunft: DS] 101, Decisa K. 321-329 (alt A 100). Vgl. Ar­chivbehelf [AB] 1/1 (= alt 48) Bd. 1: Ab - Ap 32 'A. Abraham zum Drachen gegen Kurfürst zu Mainz (1678-1688). Zur Beschreibung der Kriterien dieser Datenbank siehe unten S. 259. 20 „Prozeßkarten“, die von Augenscheinskommissaren angelegt wurden, stellen häufig die ersten kartographischen Zeugnisse einer Region, einer Stadt oder eines Dorfes dar. 21 Moraw macht für die Benachteiligung des RHR durch die Forschung bis heute nachwirkende „konfessionell-kleindeutsch-etatistische Vorurteile und Mißverständnisse“ verantwortlich und plädiert ausdrücklich für die Befragung der „überreichen Primärquellen“ des RHR, um ein von je­der Polemik unbeeinflußtes Bild gewinnen zu können. Moraw: Reichshofrat. In: HRG. Bd. 4, Sp. 631. Zu nationalistisch motivierten Negativurteilen über den RHR siehe: Hertz : Die Recht­sprechung der höchsten Reichsgerichte, S. 357. 22 Sellert verweist in diesem Zusammenhang auf die mangelnden gesetzlichen Grundlagen des RHR-Verfahrens, das überwiegend auf Herkommen beruhte, sowie auf die schon erwähnte Tatsa­che hin, daß der RHR auch andere alsjudizielle Aufgaben wahmahm. Sellert: Prozeßgrundsät­ze, S. 43-44. Diestelkamp betont den höheren Professionalisierungsgrad des RKG im Verhältnis zum RHR, der höchstens zur Hälfte aus studierten Juristen bestand. Diestelkamp : Merkmale frühneuzeitlicher Rechtsprechung. In: Frieden durch Recht, S. 110-117, hier S. 117. 23 So Uhlhorn: Mandatsprozeß, S. 3. 253

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