Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 46. (1998)

ENDERLE-BURCEL, Gertrude: „Planwirtschaft“ als Krisenbekämpfung. Aspekte österreichischen Staatsinterventionismus 1930 bis 1938

„Planwirtschaft“ als Krisenbekämpfiing es in Österreich nahezu in allen Produktionszweigen zu staatlichen Reglementierun­gen. Die Eingriffe gingen über den in den Zwanzigerjahren verfolgten Wiederaufbau der österreichischen Landwirtschaft im Wege der Landeskulturförderung weit hin­aus. Diese Maßnahmen umfaßten wie es ein Zeitgenosse formulierte „organisa­torische oder gesetzliche Eingriffe und Vorschriften zur Durchsetzung der gesteckten (staatlichen) Ziele“, zu deren Verwirklichung bestimmte „planwirtschaftliche Orga­nisationsformen geschaffen wurden“”. Zu den einschneidensten Maßnahmen kam es in der österreichischen Milch- und Viehwirtschaft. Zahlreiche Lenkungsmaßnahmen in geringerem Umfang gab es aber auch beim Zuckerrüben-, Wein- und Obstbau, in der gärtnerischen Produktion sowie in der Forstwirtschaft“. Alle staatlichen Eingriffe wurden in enger Zusammenarbeit mit den landwirt­schaftlichen Vertretungsorganen konzipiert32 33 34. Die marktregulierenden Eingriffe, der sogenannte „agrarische Kurs“ der Regierungen Dollfuß und Schuschnigg wurden von den übrigen Wirtschaftszweigen als eine einseitige Bevorzugung der Landwirt­schaft kritisiert35. Die Eingriffe des Staates reichten dabei von direkten Subventions­zahlungen 1930/1931, neuen Zollbestimmungen ab 1931, Einfuhrverboten ab 1932, Milch- und Viehverkehrsregelungen, Holzverkehrsregelungen, Preisregulierungen, Zwangsbewirtschaftungsmaßnahmen, Einführung von Lizenzgebühren auf Futter­mittel bis hin zu Besitzfestigungs- und Entschuldungsaktionen36. Das Instrumentarium der Regierung beschränkte sich dabei nicht auf die Schaf­fung von rechtlichen Kontroll- und Rahmenbedingungen, sondern wandte auch indirekte Mittel an, um die Produktion und die Preise von Agrarprodukten zu steu­ern37. Die Beseitigung der Wirtschaftsfreiheit wurde mit den Krisenerscheinungen in der europäischen Landwirtschaft, dem Versagen des kapitalistisch-liberalistischen Wirtschaftssystem und der Staatsnotwendigkeit begründet und gerechtfertigt, gegen „extremes Gewinnstreben“ oder „schädliche Formen des Wettbewerbs“ Vorgehen zu müssen. Die autoritäre Regierungsform erleichterte die planwirtschaftlichen Rege­lungen und Eingriffe in die Wirtschaft38. Das regulierende System im Agrarsektor wurde aber nicht nach einem Plan aufgebaut, sondern bestand großteils aus Reaktio­nen auf neu entstehende Probleme. Wie Ludwig Mises gewarnt hatte, zog jede 32 Leopold, Rudolf: Planwirtschaftliche Maßnahmen in der österreichischen Landwirtschaft. In: Agrari­sche Rundschau, 3/1 (1937), S. 4. 33 Ebenda, S. 4-16. 34 Hahn, Manfred - Matti, Siegfried - M e t z, Emst: Agrarischer Strukturwandel und Agrarpolitik in der Ersten Republik Österreich. In: Journal fiir angewandte Sozialforschung, 19/2 (1979), S. 13. 35 Ebenda, S. 13. Vgl. dazu beispielhaft etwa Der Österreichische Volkswirt vom 11. Mai 1935, Nr. 32, S. 626 „M. L. Klausberger, Industrieplanung in Österreich“. 36 Vgl. im Detail Steden, A.: Die Entwicklung des österreichischen Agrarmarktes. In: Agrarische Rund­schau, Sommer 1934, Heft 1, S. 32-57; Leopold: Planwirtschaftliche Maßnahmen; Hahn - Matti - Metz: Agrarischer Strukturwandel, S. 12 f.; Miller, James William: Engelbert Dollfuß als Agrarfachmann. Eine Analyse bäuerlicher Führungsbegriffe und österreichischer Agrarpolitik 1918— 1934. Wien-Köln 1989, S. 91-144. 37 Miller: Dollfuß als Agrarfachmann, S. 130 f. 38 Leopold: Planwirtschaftliche Maßnahmen, S. 3. 35

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