Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)
AMMERER, Gerhard: Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788–1791) und die öffentliche Meinung in Wien
Gerhard Ammerer heiten. Allerdings versuchte die Regierung 1789 hemmungslos, auch von diesen die „Türkensteuer“ (siehe unten) einzufordern40. Als für den Staatshaushalt wesentlich schwerwiegender erwiesen sich jedoch die Kriegskosten. Sie rissen ein Loch in den Staatssäckel, das auch mit einer weiteren Vermehrung des Geldumlaufs41 nicht zu stopfen war. Die Wiener Zeitungen präsentierten Berechnungen, wonach die Hälfte der ärarischen Einnahmen in die Unterhaltung und Versorgung der Armee floß42. Der Türkenkrieg kostete schließlich über 220 Millionen Gulden43. Angesichts der Tatsache, daß die Staatsschulden 1788 bereits 342 Millionen Gulden betrugen - sie stiegen bis zum Tode des Kaisers noch auf 370 Millionen Gulden44 —, blieben auch die Bemühungen einer zur Ordnung der Staatsfmanzen eingesetzten Kommission erfolglos. Durch Kreditoperationen im In- und Ausland konnten von den Kriegsausgaben insgesamt nur 125 Millionen Gulden abgedeckt werden. Fieberhaft betrieb man die Suche nach neuen Geldquellen. Was in solchen Fällen zumeist geschieht, weiß jeder aus leidvoller eigener Erfahrung. „Wenn die Kasse leer ist, werden Steuern ausgeschrieben“45, so lautete die prophetische Aussage in einer im Sommer 1788 erschienenen, vielbeachteten Anti- Türkenkriegsbroschüre. In der Tat wurde am 13. November d. J. ein Kriegssteuerpatent erlassen, das in Wien nicht nur Kopfschütteln46 erregte. Die Steuereinnahmen stiegen maßgeblich an47, wenn auch die Ertragserwartungen der Vaterlandschronik von 150 Millionen Gulden irreal überhöht ausfielen48. Mit der eigenen wirtschaftlichen Lage waren in Wien nur wenige und nur diejenigen zufrieden, die große Militäraufträge erhielten. Innerhalb von vier Jahren konnte so etwa ein Schustermeister wie Martin Plattner zu Wohlstand kommen, um 3 270 Gulden das Haus „Zum Rauchfangkehrer“ erwerben, in diesem sechs Mietwohnungen ausbauen und ein Bierhaus mit Gastgarten eröffnen49. Die große Masse der Wiener Bevölkerung jedoch litt unter den verminderten Nominal- (durch die neue Steu40 K a u 1, Christina: Die Rechtsstellung der türkischen Juden in Wien. Auf Grund der Österreichisch- Türkischen Staatsverträge. In: Kienzl, Heinz -Prokop, Kurt (Hrsg.): Die Rechtsstellung der türkischen Juden in Wien. Melk 1992 (Schriftenreihe der Liga der Freunde des Judentums 3), S. 11, 16 u. 47. 41 Sandgruber, Roman: Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Wien 1995, S. 222. 42 Groß-H of finger: Lebens- und Regierungsgeschichte, S. 458. 43 Otruba, Gustav: Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus. In: Die Wirtschaftsgeschichte Österreichs, hrsg. vom Institut für Österreichkunde. Wien 1971, S. 121. 44 Ebenda, S. 121; in dieser Summe inkludiert sind die kursierenden Bancozettel (1788: 22,6 Millionen Gulden). 45 (anonym:) Ein Wort im Vertrauen überden Türkenkrieg. Wien 1788, S. 31. 46 So die loyale Vaterlandschronik vom 21. Oktober 1788, S. 725. 47 Die Staatseinnahmen stiegen von 50 Millionen Gulden 1784 auf 66,4 Millionen 1792 an. Der Anteil der indirekten Abgaben vergrößerte sich von 41 % auf 56,2 %. Die Steuerquote erreichte etwa 12 % des Bruttosozialproduktes (Sandgruber: Ökonomie, S. 222). 48 Vaterlandschronik vom 16. Dezember 1788, S. 821. 49 Sauer, Walter: Schuster, bleib bei deinem Leisten ... Politische und weltanschauliche Entwicklungen unter Wiener Handwerkern am Beispiel der Affare des Jahres 1794. In: Engelhardt, Ulrich (Hrsg.): Handwerker in der Industrialisierung. Lage, Kultur und Politik vom späten 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert. Stuttgart 1984 (Industrielle Welt. Bd. 37), S. 443. 66