Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)

AMMERER, Gerhard: Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788–1791) und die öffentliche Meinung in Wien

Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788-1791) 1781 die zwangsweise Einberufung aller wirtschaftlich abkömmlichen Männer regel­te. Konkrete (negative) Auswirkungen zeitigte diese neue Einrichtung ab 1788: Die Rekrutenforderungen für den Türkenkrieg stiegen ins „Unermeßliche“, zahlreiche Burschen verstümmelten sich, begingen Delikte33 oder flohen, um dem - lebenslänglichen - Militärdienst zu entgehen34 *. Aus den Erbländern häuften sich die Berichte über Schwierigkeiten bei den Aushebungen, „massen“, wie es aus einem Tiroler Gericht hieß, „alle jungen Leute weckgeloffen seyen“33. Neben dem Konskriptionssystem und den (nun teilweise auch unter Einsatz des Militärs vorgenommenen) Rekrutierungen belastete die Bevölkerung weiters die Masse an schwerkrank oder verkrüppelt aus dem Krieg zurückgekehrten Soldaten, da sich das unter Maria Theresia neu eingerichtete „Invalidensystem“ von Anfang an als unzureichend erwiesen hatte36. Eine große Schar von ehemaligen Kriegsteilneh­mern, neben Invaliden auch eine große Anzahl von Deserteuren, streifte bettelnd und stehlend durch die Lande37. Der unglückliche Türkenkrieg belastete auch die während der ersten Regierungs­jahre Josephs II. prosperierende Ökonomie gravierend und trug maßgeblich zu den Stagnationserscheinungen bei, die die ganze erste Hälfte der 1790er Jahre anhiel­ten38. Schaden erlitt zunächst der österreichische Handel mit der Türkei, der eben zu dieser Zeit derart große Fortschritte gemacht hatte, daß selbst die jahrhundertelange Vormachtstellung Frankreichs zusammenbrach39. Obwohl die Handelsbilanz durch­gehend zuungunsten Österreichs ausfiel, da das Interesse an türkischen Waren in Wien bei weitem größer war als dasjenige für österreichische Güter in Konstan­tinopel, behielten die in Wien ansässigen Türken - so ein eigens ausgestelltes Hof­dekret - auch während des Krieges ihre 1768 vertraglich zugesicherten Handelsfrei­So berichtet Hauckh, Johann Carl: Leitfaden zu dem Kenntnisse der gefürsteten Graffschaft Tyrol fur die Zuhörer der politischen Wissenschaften entworfen. Innsbruck 1789, S. 56: „Das junge Mannsvolk be­sonders übt sich gern in Scheibenschiessen, ist aber einer militärischen Aushebung so abgeneigt, daß einige lieber Diebstähle begehen, nur, um durch eine solche Mackel von diesem Stande ausgeschlossen zu wer­den.“ 34 Mitrofanov: Joseph II., S. 371 u. S. 387. 33 Tiroler Landesarchiv, Jüngeres Gubernium, Militare 1787, Fasz. 1333, Nr. 50/9. In Tirol war das (wie in Ungam erst 1784 eingeführte) Konskriptionswesen angesichts des heftigen Widerstandes der Bevölkerung nicht durchzusetzen und mußte schließlich 1790 wieder aufgehoben werden (Mitrofanov: Joseph II., S. 381). 36 Vgl. z. B. Kriegsarchiv Wien, Memoires 8/332. 37 In Bettler- und Vagantenordnungen wird auf diesen Umstand wiederholt hingewiesen, vgl. z. B. Tiroler Landesarchiv, Handschrift 1223. 38 Sandgruber, Roman: Inflationskonjunktur und Alltagsnot in Österreich zur Zeit der Napoleonischen Kriege. In: Drabek, Anna M.-Leitsch, Walter - Plaschka, Richard G. (Hrsg.): Rußland und Österreich zur Zeit der Napoleonischen Kriege. Wien 1989 (Österreichische Akademie der Wissenschaf­ten. Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs 14), S. 181. 39 Halm, Hans: Habsburgischer Osthandel im 18. Jahrhundert. Österreich und Neurußland (II): Donau­handel und -Schiffahrt 1781-1787. München 1954 (Veröffentlichungen des Osteuropa-Institutes Mün­chen), S. 185. 65

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