Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)
AMMERER, Gerhard: Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788–1791) und die öffentliche Meinung in Wien
Gerhard Ammerer zichtete (mit Ausnahme von einigen kleinen Grenzkorrekturen) auf die eroberten Gebiete25. Auch Belgrad mußte an die Pforte zurückgegeben werden. Die aus den fernen Kriegshandlungen erwachsenden Belastungen für Staat und Bevölkerung waren enorm. Der Krieg forderte von Anfang an große Menschenopfer. Die Hauptschuld daran trug die sumpfige Gegend von Sémiin, wo das Hauptheer lagerte. Die Armee zählte allein im Zeitraum von nur einem Jahr (von Anfang Juni 1788 bis Ende Mai 1789) 172 000 (vor allem an Fieber und Ruhr) Erkrankte, wovon 33 000 starben26 - das war eine wesentlich höhere Anzahl an Toten als durch Feindeinwirkung. Nicht zuletzt aus diesem Grand stiegen die Desertionen 1788 sprunghaft an. Ohnehin seit Jahren kränkelnd, hatte sich auch Joseph II. zu seiner Armee begeben, kehrte jedoch nach einigen Monaten todkrank nach Wien zurück27. Kurz bevor er starb, schrieb Staatskanzler Wenzel Anton Kaunitz an Ferdinand Graf Trauttmannsdorff: „Sie wissen ebenso wie ich, wie sehr dieser unglückliche Mensch den Schandtitel ,allzeit Zerstörer des Reiches“ verdient.“28 Ob dieses Urteil der Person Josephs II. gerecht wird und ob dieser ein - um Extrempositionen zu zeichnen - kriegslustiger Annexist oder ein im Grande pazifistisch eingestellter Regent war, der sich von Zeitzwängen und Ratgebern (wie Kaunitz) leiten ließ, wird in der Historiographie derzeit noch diskutiert29. Ein Hauptgrund dafür, daß „Kaiser Joseph von seinem Volke nicht geliebt“30 und sein Ableben mit Gleichgültigkeit aufgenommen wurde31, lag an diesem Krieg und am Militärsystem32, speziell am „Conscriptions- und Werb-Bezirks-System“, das seit 25 Preußen, das keine habsburgische Machtausdehnung wünschte, unterstützte einerseits die Aufständischen in den Niederlanden, die am 11. Jänner 1790 in Brüssel die „Vereinigten belgischen Staaten“ ausriefen, andererseits mobilisierte es seine Truppen, gegen die Österreich angesichts der Bindung durch den Türkenkrieg kaum einen ebenbürtigen Widerstand hätte leisten können. Leopold II. ging daher auf die Forderungen Preußens ein; vgl. Rössler, Hellmuth: Graf Johann Philipp Stadion. Napoleons Gegenspieler. Wien-München 1966, Bd. 1, S. 148 f.; Teply: Türkenkriegszeitalter, S. 48. Zum Friedensvertrag zwischen Österreich und der Türkei vgl. den zeitgenössischen Kommentar von Schubart (Christian Friedrich Daniel): Chronik 1791, 1. Halbjahr. Stuttgart 1791, S. 575-579. Groß-Hoffinger, A.J.: Lebens- und Regierangsgeschichte Josephs des Zweiten und Gemälde seiner Zeit. Stuttgart-Leipzig 1836, S. 473 f. Darauf hinzuweisen ist, daß der Autor von manchen Historikern nicht eben als zuverlässiger Zeuge angesehen wird, da er die Biographie Jahrzehnte nach dem Ableben des Kaisers ohne Angabe von Quellen verfaßt hat. Aus manchen Angaben, etwa den obigen Zahlen, läßt sich jedoch auf intensive Nachforschungen schließen. Trotz der Bemühungen Josephs II. um Fortschritte in der Feldmedizin, gab es Berichte in denen „die laue Behandlung der Kranken in den Spitälern“ kritisiert wurde (vgl. Allgemeines Verwaltungsarchiv Wien, Pergen-Akten XIII/5, Mitteilung einer Note des Stadthauptmanns von Pest an den Kaiser vom 18. August 1788 (Unterschrift verbrannt), einen Bericht aus Peterwardein referierend). 27 Mikoletzky: Österreich, S. 365 f. 28 Ebenda, Zitat, S. 367. 29 Vgl. etwa Roider: Kaunitz, S. 577IT.; Kaunitz als Proponenten für den Krieg zeichnet besonders Beales, Derek: Die auswärtige Politik der Monarchie vor und nach 1780: Kontinuität oder Zäsur. In: Österreich im Europa der Aufklärung, S. 572. 30 In Abwandlung nach dem bekannten Titel von Joseph Richters anonym erschienenen Broschüre: Warum wird Kaiser Joseph von seinem Volke nicht geliebt? Wien 1787. 31 Vgl. dazu Näheres bei Engel-Jänosi, Friedrich: Josephs II. Tod im Urteil der Zeitgenossen. In: MIÖG 44 (1930), S. 324-346. 32 Donnert: Joseph II., S. 590. 64