Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)

AMMERER, Gerhard: Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788–1791) und die öffentliche Meinung in Wien

Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788-1791) zurecht massiv bedroht und sahen sich zu einem Präventivkrieg gezwungen, bevor noch Potjomkin die militärischen Vorbereitungen Rußlands zu Ende fuhren konnte18. Statt mit dem vertraglich zugesicherten Hilfskorps von 30 000 Mann zog Jo­seph II. nach der Kriegserklärung vom 9. Februar 1788 mit fast 300 000 Mann, die teilweise neu bewaffnet worden waren, gegen die Osmanen19. Der Feldzug dieses Jahres kam indes einer Katastrophe gleich,20 da der alte und unfähige Feldmarschall Graf Lacy21 die Verbände über die gesamte gemeinsame Grenze von 1350 km verteil­te, die militärische Schlagkraft daher ineffektiv blieb und er selbst wegen seiner Unschlüssigkeit beim Militär keinerlei Ansehen und Rückhalt genoß22. Dazu kam die ebenfalls wenig energische Kriegsfiihrung Potjomkins23. Trotz des Vertrauens, das dem einige Monate später an Stelle von Lacy eingesetzten, wegen seines Alters mit dem Epitheton „grauer“ belegten, Heerführer, Emst Freiherr von Laudon, von allen Seiten entgegengebracht wurde, zeigte auch er sich in seinen militärischen Aktionen sehr vorsichtig24. Es gelang ihm schließlich doch, am 8. Oktober 1789 Belgrad ein­zunehmen. Im Jahr darauf wurde zwischen Österreich und der Türkei ein Waffen­stillstand geschlossen. Während Rußland den Krieg erst Anfang 1792 mit großen territorialen Gewinnen beendete, bestätigte Leopold II., der Bruder und Nachfolger Josephs II. - vor allem vom wafifenrasselnden Preußen dazu gezwungen - am 4. August 1791 in Sistowa den 1739 geschlossenen Frieden von Belgrad und ver­18 Neumann-Hoditz, Reinhold: Katharina II. die Große mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1988, S. 185. - Eine völlig ungenügende Erklärung zum Kriegsausbruch bei Petritsch, Ernst D.: Vom Zweikampf zur Koexistenz. Österreich und die Türkei vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Ersten Republik. In: Z ö 11 n e r, Erich - G u t k a s, Karl (Hrsg.): Österreich und die Osmanen - Prinz Eugen und seine Zeit. Wien 1988 (Schriften des Instituts für Österreichkunde 51/52), S. 258 f. 19 Allmayer-Beck, Joh. Christoph - L e s s i n g, Erich: Das Heer unter dem Doppeladler. Habsburgs Armee. 1718-1848. München 1981, S. 158 ft; Mikoletzky, Hanns Leo: Österreich. Das große 18. Jahrhundert. Wien 1967, S. 366. 20 Beer, Adolf: Die orientalische Politik Oesterreichs seit 1774. Prag-Leipzig 1883, S. 96. 21 Vgl. Kotasek, Edith: Feldmarschall Graf Lacy. Ein Leben für Österreichs Heer. Horn o. J., bes. S. 170 ff. 22 So berichtet etwa die Vaterlandschronik vom 4. Juli 1788, S. 429: „Man behauptet, daß bei der ganzen Kaiserlichen Armee Mißvergnügen gegen Lasci und seinen zähen, so gar langsam sich entwickelnden Kriegsplan herrsche.“; vgl. auch Preradovich, Nikolaus von: Des Kaisers Grenzer. 300 Jahre Tür­kenabwehr. Wien-München-Zürich 1970, S. 199. 23 Vgl. dazu und zu den Kriegshandlungen das Standardwerk von Criste, Oskar: Kriege unter JosefII. Nach den Feldakten und anderen authentischen Quellen. Wien 1904, S. 222. Die Untätigkeit der russi­schen (aber auch der österreichischen) Armee wurde auch in den Wiener Zeitungen kritisiert: vgl. z. B. Neueste Wiener Nachrichten vom 1. Oktober 1788, S. 6: „Das ist mir ein schöner Krieg! zehn Monat hat der Kaiser im Lager verstreichen lassen, - und die Russen? diese haben gar nichts zu Lande gethan.“ 24 Vgl. z. B. die Vaterlandschronik vom 7. Juli 1789, S. 442: „Ein Offizier schreibt aus Sémiin: ,Wir glaub­ten, als die grossen Feldherren ankamen, da würde eine That die andere drängen, der Geist Eugens würde über unsere Heere schweben, und uns Sieg und Heil bringen; statt dessen aber stehen wir da, als hätten wir alle bleierne Füsse bekommen ... Mag es doch aufgehen das Friedensgestim; denn das träge Zaudern hat dem ganzen Heere diesen Krieg längst verhaßt gemacht.“' 63

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