Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)

AMMERER, Gerhard: Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788–1791) und die öffentliche Meinung in Wien

Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788-1791) ster Zeit wird zunehmend Kritik am Habermasschen Modell der Öffentlichkeit laut9, die, wie ich es sehe, insbesondere in zwei Richtungen geht. Sie wendet sich 1. gegen den einseitig an verbaler Kommunikation orientierten Öffentlichkeits­begriff, der den vielfältigen Formen der politischen Kommunikation in dieser Sattelzeit nicht gerecht wird und 2. gegen die weitgehende Ausklammerung der „plebejischen“, also der „nichtbürgerlichen“ Öffentlichkeit. Gerade im Wien Josephs II. lassen sich sehr wohl verschiedene Formen politischer Artikulation auch der Unterschichten fassen, aus denen Bedürfnisse und Ansichten eines gewichtigen Teiles der Untertanen deutlich werden. Auch die Sphäre der durch die Presse vermittelten Kritik an der staatlichen Gewalt beschränkte sich in der Zeit des Türkenkrieges keineswegs auf die Bürger als Publikum - im Gegenteil. Johann Pezzl charakterisiert die herrschende Stimmung in den Gast- und Kaffeehäusern, den Zentren der urbanen Nachrichtenrezeption und des Diskurses (ironisch), folgen­dermaßen: Das Ernsthafte an der Sache abgerechnet, ist es ein wahrer Spaß, die Leute von ver­schiedenen Ständen über diese Angelegenheit sprechen, kannegießern und streiten zu hö­ren. Die meisten haben sich irgend einen Zeitungsschreiber zum Patron erkiesen, dessen Quäkelsprüchen sie blindlings folgen. ... Man schlägt sich auch wohl in Wirtshäusern nicht bloß mit Worten, sondern auch mit Fäusten um seine Meynung10 11. Dieses Zitat macht zweierlei deutlich: 1. Die öffentliche Meinung stellte einen Komplex von übereinstimmenden, aber auch widersprüchlichen Ansichten und Äußerungen von Individuen und ge­sellschaftlichen Gruppen über eine (aktuelle) Angelegenheit dar. 2. Sie bildete sich nur zu einem geringen Teil spontan; überwiegend entstand sie durch einen intensiven Gedanken- und Informationsaustausch, durch eine Art von kollektivem Diskurs. Das Medium der Kommunikation stellte die Publi­zistik dar“. Dieser spricht Pezzl die führende Rolle bei der Herausbildung der öffentlichen Meinung zu12. Da für das 18. Jahrhundert, wie schon angedeutet, jegliches Instrumentarium zur statistischen Sichtbarmachung von „öffentlicher Meinung“ fehlt, bietet sich nur die Möglichkeit an, diese auf Umwegen zumindest ansatzweise zu erfassen und nach den Aussagen, der Rezeption und Wirkung der zeitgenössischen Medienmeinung zu fragen. Die folgenden Ausführungen sollen also zunächst ein (stark ausgesiebtes) Spektrum von offiziösen bis höchst kritischen Stellungnahmen zum letzten österrei­chischen Türkenkrieg von 1788 bis 1791 bieten, Stellungnahmen zu einem Ereignis, das offenbar als höchst diskussionswürdig hohe Wellen schlug und auch sehr emo­9 Vgl. vor allem Gest rieh, Andreas: Absolutismus und Öffentlichkeit. Politische Kommunikation in Deutschland zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1994 (Kritische Studien zur Geschichtswissen­schaft 103), bes. S. 16-32. 10 Pezzl: Skizze, S. 635. 11 Noelle-Neumann: Öffentliche Meinung, S. 29. 12 Es sei in diesem Zusammenhang nur auf die Tatsache verwiesen, daß die Französische Revolution für eine gewisse Zeit eine wahre „Zeitungsherrschaft“ schuf (vgl. Seidel, Hanns: Vom Mythos der öffentlichen Meinung. Aschaffenburg 1961, S. 12). 61

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