Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 43. (1993) - Festschrift für Rudolf Neck zum 65. Geburtstag
BROUCEK, Peter: Über den Schriftennachlaß des Feldmarschalls Franz Conrad von Hötzendorf im Kriegsarchiv
Über den Schriftennachlaß des Feldmarschalls Franz Conrad von Hötzendorf mehr verstand und fassungslos auf die „studierten Leute“ der preußischen Gegenseite hinwies. Der doktrinär-liberale Kriegsminister Feldzeugmeister Kuhn-Kuhnenfeld „bestrafte“ das Korps nach jener entscheidenden Niederlage durch die gänzliche Abschaffung. Er wollte sein eigener Generalstabschef sein und bestellte einen außergewöhnlichen - aber sozusagen fast reinen - Theoretiker und Offizier, Feldmarschallleutnant Gallina, zum „Leiter“ eines Generalstabskorps (seit 1865 so genannt). Er war in Wahrheit der Vorsitzende einer Art von Kriegsräten zur Beratung des Ministers, der allgegenwärtig sein wollte. Die Reaktion kam nach dem Sturz Kuhns, als dem Armeeinspektor und präsumptiven Armeekommandanten Feldmarschall Erzherzog Albrecht die bedeutenden Persönlichkeiten Feldzeugmeister John und - später - Feldzeugmeister Beck-Rzikowsky an die Seite gestellt wurden. Das Korps wurde 1874/75 wieder hergestellt, seine Ausbildung an der Kriegsschule, der Generalstabsakademie, ebenso geregelt, wie die Beförderung der Offiziere, die diese Karriere erfolgreich anstrebten. Die Anzahl der Dienststellungen wurde ständig erweitert. Der Chef erhielt das Vortragsrecht beim Kaiser, blieb aber zunächst Hilfsorgan des Kriegsministers. Die Aufgaben des Chefs wurden in Organischen Bestimmungen und Dienstbüchern festgelegt, sie betrafen Leitung und Ausbildung des Korps; Bearbeitung, Begutachtung und Antragstellung mit Bezug auf dessen Angelegenheiten sowie - und vor allem - vorbereitende Aufgaben für den Krieg, also die Aufmarschplanung im Zeitalter der Eisenbahn. Der Schlachtenlenker Napoleon und der erfolgreiche Beweger der Massenheere, Moltke, waren die großen Vorbilder in der langen Zeit des Friedens, der Reformen und schließlich, was die Kriegsvorbereitung betraf, auch der Stagnation. Als Conrad, der durch seine Taktik-Schriften und seine Ausbildungsmethoden auf sich aufmerksam gemacht hatte, im November 1906 das Amt des Generalstabschefs erhielt, wurde er nach und nach zum Idol seiner Offiziere. Conrad vertrat, ganz kurz gesagt, die These vom „starken Staat“, der „positive Ziele“ habe und daher „ein starkes von einheitlichem Geist beseeltes Heer“ will und schafft, in welchem er seine Kraft und sein Ansehen verkörpert sieht. Positive Ziele waren für Conrad die Erhaltung oder Erweiterung einer Zone der Vorherrschaft oder zumindest Mitherrschaft (z.B. Westbalkan) und dafür forderte er eine aktive Militärpolitik, eventuell auch Präventivschläge gegen Serbien und Italien. Innenpolitisch behielt Conrad den Plan für einen „Fall U“, der militärischen Besetzung Ungarns, noch für eine Reihe von Jahren bei13). 13) Kurt Peball - Gunther Rothenberg, Der Fall „U“. Die geplante Besetzung Ungarns durch die k.u.k. Armee im Herbst 1905, in: Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien 4 (1969) 85-126. 159