Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 43. (1993) - Festschrift für Rudolf Neck zum 65. Geburtstag

TEPPERBERG, Christoph: Rechtsnormen zum „Verbrechen der Desertion“ in der k. k. Armee, vornehmlich für die Zeit des Vormärz

Christoph Tepperberg lassen21). Wie groß die Strapazen und wie schlecht es um die Gesund- heits- und hygienischen Umstände in der Armee bestellt war, zeigt die Tatsache, daß sich unter den zwischen 1814 und 1830 als „Abgänge“ ver- zeichneten Infanteristen über 20 Prozent Verstorbene befanden. Der Großteil dieser 25 bis 35 Jahre alten Soldaten starb - geschwächt durch stete Märsche, mangelnde Verpflegung und die in den Lagern und Garni­sonen herrschende mangelnde Hygiene - entweder an Entkräftung oder an den für größere Menschenkonzentrationen typischen Krankheiten wie Tuberkulose und Typhus22). Nicht auf dem „Felde der Ehre“ also, sondern in den Militärspitälern, die nicht selten durch ihre schlechte Ausstattung und ungesunde Lage für die Verbreitung ansteckender Krankheiten und Infektionen geradezu prädestiniert waren. Außerdem ist zu bedenken, daß in den k.k. Regementem und Kompanien nach wie vor der Stock regierte. Der Kompanie- und Eskadronskommandant konnte gegen den Gemeinen als Disziplinarstrafe jederzeit bis zu 25 Stockstreiche befehlen, der Regimentskommandant bis zu 50 Stockstreiche oder sechsmaliges Gassenlaufen durch 100 Mann. Und den Korporalen und Feldwebeln, die den Stock bzw. das „spanische Rohr“ als Zeichen ihrer Charge trugen, wurde im Dienstreglement eingeschärft, daß sie sich des Schlagens mit dem Stocke möglichst zu enthalten hätten23). Unter diesen geschilderten Umständen erscheint es uns heute durchaus verständlich, daß der eine oder andere des Kaisers Rock vorzeitig auszog und das Weite suchte. Jedenfalls mußten die Gründe, die einen Soldaten zur Desertion bewegten, schwerwiegend sein, da, wie wir noch sehen werden, die Militärgesetze für das Verbrechen der Desertion dra­konische Strafen vorsahen. Aber auch die sozialen und wirtschaftlichen Folgen, die sich für den Mann unmittelbar aus der Fahnenflucht er­gaben, waren alles andere als erfreulich. Selbst wenn er bei einem an­deren Regiment Dienste nahm, lebte er in der ständigen Angst, als De­serteur erkannt und bestraft zu werden. Kehrte er hingegen dem Mili­tärdienst für immer den Rücken, so bedeutete dies sehr oft ein Leben ohne festen Wohnsitz und wirtschaftliche Sicherheit. Wenn es ihm nicht gelang, sich unter falschem Namen einen Paß zu besorgen und uner­21) Vgl. KA, Musterlisten und Grundbuchsevidenz des Infanterieregiments Nr. 48 1814-1830. 22) Musterlisten und Grundbuchsevidenz der Infanterieregimenter Nr. 48 und 49, 1814-1830. Der Anteil der Verstorbenen war bei den Ungarischen Regimentern (48. In­fanterieregiment) deutlich höher als bei den „deutschen“ Truppenkörpern und betrug bis zu 30 Prozent des Abganges. 23) Infanterie-Dienstreglement 1 (1807) 18, 21, 32, 79, 85 f; vgl. auch Johann Chri­stoph Allmayer-Beck, Die bewaffnete Macht in Staat und Gesellschaft, in: Das Heerwe­sen (= Die Habsburgermonarchie 1848-1918 5, Wien 1987) 33 Anm. 140 und die dort zitierte Literatur. 98

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