Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 43. (1993) - Festschrift für Rudolf Neck zum 65. Geburtstag

TEPPERBERG, Christoph: Rechtsnormen zum „Verbrechen der Desertion“ in der k. k. Armee, vornehmlich für die Zeit des Vormärz

kannt im Zivilleben Fuß zu fassen, so wurde er zum Nichtseßhaften, der als Vagabund durch die Verwaltungskreise und Komitate der Monarchie zog, um sich als Taglöhner, Bettler und Gelegenheitsdieb durch­zuschlagen. Das „Verhehlen“ eines Deserteurs, d.h. die Vorschub­leistung „durch Abkaufung der Montur oder seines Gewehres, durch An­weisung des Weges, durch Verkleidung, Verbergen, durch einen bey sich gegebenen Aufenthalt“, war von der zivilen Strafgesetzgebung als Ver­brechen qualifiziert und unter schwere Strafe gestellt24). Nicht wenige Deserteure glitten dehalb in die Schwerkriminalität ab. Wir finden sie in den Räuberbanden des 18. und 19. Jahrhunderts oftmals an führender Stelle. In einer Note an den Wiener Hofkriegsrat vom 13. Dezember 1816 führte die Ungarische Hofkanzlei unter anderem aus: „Die Erfahrung beweist, daß Deserteurs, sobald sie ihre Fahnen verlassen haben, weil sie aus Furcht vor der Strafe zu ihrem Regimente und - um nicht ver­haftet zu werden - auch nach Hause zurückzukehren sich nicht mehr getrauen, sich der Straßenräuberei zu ergeben und sehr oft Anführer solcher Horden zu werden pflegen“25). Der berühmte „Räuberhaupt­mann“ Johann Georg Grasei ließ sich im Jahre 1815, um seinen Ver­folgern zu entkommen, unter dem Falschnamen Franz Eichner, Sei­fensieder aus Loiben bei Krems, gegen ein namhaftes Handgeld von 46 Gulden in Prag beim 1. Feldartillerieregiment assentieren, desertierte aber bereits nach sechs Wochen. Seine kurze Militärzeit hatte zur Folge, daß er im Jahre 1818 nicht vom Wiener Kriminalgericht, sondern, da er „zur Fahne geschworen“ hatte, nach den strengeren Normen der Mili­tärgesetze vom Wiener Generalkommando verurteilt wurde26). Mit diesen Normen wollen wir uns in der Folge näher beschäftigen. Rechtsnormen zum „Verbrechen der Desertion“ in der k.k. Armee 24) Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizey-Uebertretungen, 2. Aufl. (Wien 1815) Erster Theil §§ 199 u. 200. Vgl. dagegen Robert Rartsch, Johann Georg Grasei und seine Kameraden (= Aus dem Archiv des grauen Hauses. Eine Sammlung merkwürdiger Wiener Straffälle 2, Wien 1924) 255 f. Bartsch vertritt die Ansicht, daß, weil der Militärdienst in der Bevölkerung aUgemein unbeliebt gewesen sei, man De­serteuren aus Mitleid gerne Unterschlupf gewährt habe, und daher viele von ihnen unentdeckt unter falschem Namen in ehrliche Berufe eintreten konnten. Dies läßt sich jedoch anhand der Quellen nicht belegen. Dem steht nicht nur die erwähnte Straf­barkeit der Vorschubleistung entgegen, sondern auch der Umstand, daß selbst für die Entdeckung und Anzeigung eines Deserteurs-Verhehlers eine namhafte Belohnung ausgesetzt war; vgl. Nahlik, Desertion 184. 25) KA, Hofkriegsrat (zit. HKR) Dep. W 1-4/10 ex 1817. Über Räuberbanden und Kriminalität im Vormärz gibt es eine reichhaltige Literatur. Vgl. neuerdings Christoph Tepperberg, Räuber, Mörder, Deserteure. Fahnenflucht und Bandenkriminalität im Vormärz, dargestellt am Beispiel zweier Verbrechergruppen, in: Jahrbuch des Vereines für Landeskunde (= Festschrift für Otto Friedrich Winter, Wien 1993). 26) KA, Musterlisten des 1. FAR: Assentliste vom 23. April 1815 und MonatstabeUe pro Junio 1815, 8. Kompanie; KA, HKR Prot. H 89 ex 1818; Bartsch, Grasei 251 ff. 99

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