Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 42. (1992)

ERNST, Hildegard: Geheimschriften im diplomatischen Briefwechsel zwischen Wien, Madrid und Brüssel 1635–1642

Hildegard Ernst die Schwächen eines Systems und die Fehler der Ziffernsekretäre, die einem „Codebrecher“ die Arbeit erleichtern konnten. Wie häufig es vorkam, daß der Feind abgefangene Briefe tatsächlich entschlüsselte, ist aus der Korrespondenz nicht zu ersehen. Es fanden sich auch keine Hinweise darauf, daß sich die spanischen oder kai­serlichen Ziffernsekretäre mit dem Entschlüsseln von abgefangenen Briefen der Gegner befaßt hätten, wie es etwa für die Wiener Ge­heime Ziffernkanzlei des 18. Jahrhunderts belegt ist12). Dagegen tau­chen in den Akten immer wieder Befürchtungen auf, daß der Feind die spanischen und kaiserlichen Postsendungen liest und auch Briefe verschwinden läßt. Deshalb wurden ja alle brisanten Textstellen ver­schlüsselt und praktisch jedes Schreiben zweimal ausgefertigt und darauf geachtet, daß die beiden Exemplare von verschiedenen Kurie­ren befördert wurden. Die erste Ausfertigung gab man, wenn mög­lich, einem Sonderkurier, die zweite der „ordinari Post“ mit. Manch­mal wurde auch noch ein drittes Exemplar auf den Weg gebracht. Als unbefugter Leser der spanisch-kaiserlichen Korrespondenz kam vor allem der französische König Ludwig XIII. bzw. sein Erster Mini­ster, Kardinal Richelieu, in Frage, denn die Sendungen nahmen, mit einigen Unterbrechungen, ihren Weg durch Frankreich, zeitweilig über Brüssel13). Soweit die Post auf dem Seeweg über Genua oder die spanischen Niederlande befördert wurde, konnte sie auch von italie­nischen Staaten oder England und den abgefallenen niederländi­schen Provinzen abgefangen werden. Aber auch im Reich war in den unruhigen Zeiten des Dreißigjährigen Krieges die Gefahr der Postin- terzeption sehr groß. Die Kanzleien legten zumeist einen großen Ei­fer beim Verschlüsseln der Briefe und Berichte an den Tag: Die Menge und Länge der chiffrierten Texte ist beachtlich. Dem stand eine große Nachlässigkeit in der Ausführung gegenüber. Auch wech­selte man die Schlüssel nicht oft genug aus. Es wäre doch nahelie­gend gewesen, dem Nachfolger des Gesandten Schönburg, Carretto, eine neue Chiffre mit auf die Reise nach Madrid zu geben, zumal die alten schon lange in Gebrauch gewesen waren. Erst der Zugriff der Witwe Schönburgs auf die Papiere der Botschaft war Anlaß, einen neuen Code herzustellen. Nachdem Carretto am 18. Oktober 1641 eine neue „Ziffer“ erbeten hatte, mußte er noch bis weit ins Jahr 1642 hinein warten, bis er sie benutzen konnte14). Wenn der Ge­12) Franz Stix, Zur Geschichte und Organisation der Wiener Geheimen Zijfernkanzlei, in: MIÖG LI(1937) 131-160. 13) Auf die Post werde ich im Folgebeitrag näher eingehen. 14) Am 13. Februar 1642 meldete Carretto, daß er eine neue Ziffer erhalten habe. Sein Schreiben vom 10. Februar 1642 trägt den Ranzleivermerk: „cifra che la Can.ria di 110

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