Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 42. (1992)

ERNST, Hildegard: Geheimschriften im diplomatischen Briefwechsel zwischen Wien, Madrid und Brüssel 1635–1642

Geheimschriften im diplomatischen Briefwechsel sandte nicht von Genua aus einen Schlüssel nach Wien geschickt hätte, wäre er monatelang ohne Codierungsmöglichkeit gewesen. Im übrigen ist es auch nicht empfehlenswert, eine Chiffre auf demselben Weg zu verschicken wie die chiffrierte Post. Daß man sich beim Aus­wechseln von Schlüsseln so zurückhielt, ist sicher zum einen mit der sowohl in Wien als auch in Madrid und andernorts schleppenden Ab­wicklung aller bürokratischen Vorgänge zu erklären, zum anderen wohl auch mit Bequemlichkeit: Eine Chiffre, die schon lange in Ge­brauch war, wußte man auswendig, was bei der großen Menge an Material, das ver- und entziffert werden mußte, von Vorteil war. Neue Chiffren erforderten mehr Zeitaufwand und Mühe. Die Sicherheit der Nachrichtenübermittlung wurde aber vor allem durch Nachlässigkeiten bei der Chiffrierung beeinträchtigt. Man be­ging z. B. den gravierenden Fehler, die Duplikate von verschlüsselten Schreiben nicht genau vom Original zu kopieren, sondern sie ganz neu zu codieren. Das bedeutete, daß dem unbefugten Leser, wenn er sowohl das Original als auch das Duplikat interzepieren konnte, schon allein durch den Zeichenvergleich ein Einbruch in den Code gelang: Er konnte mindestens die Mehrfachbelegungen des Klartext­alphabets feststellen, weil ja für dieselben Wörter und Buchstaben verschiedene Zeichen verwendet wurden. Viel schlimmer war es aber, daß fast durchwegs unterschiedliche Textstellen und -mengen verschlüsselt wurden. Es war offensichtlich dem Belieben des Ziffern­sekretärs anheimgestellt, im chiffrierten Text gelegentlich unverfäng­liche Wörter in Klarfassung stehenzulassen, z. B. Konjunktionen und Präpositionen. Damit wollte man Zeit sparen. Wenn beim Duplikat aber andere Wörter stehenblieben als beim Original, und das war die Kegel, so gab man dem Interzeptanten der beiden Fassungen den Schlüssel preis. In manchen Duplikaten sind sogar ganze Abschnitte, die im Original verziffert wurden, im Klartext belassen worden. Ge­nauso leichtsinnig war es, das Duplikat mit einem anderen Code zu chiffrieren als das Original, was immer wieder vorkam. Ein Sicherheitsrisiko lag aber bereits in den von den Ziffernsekretä­ren erdachten Schlüsseln selbst. Die Vorteile nämlich, die ein gut sy­stematisierter Code dem Chiffreur wie dem Dechiffreur bot, kamen auch dem unbefugten Leser zugute. Wie schon aus den hier wieder­gegebenen Listen ersichtlich, ähnelten sich die Codes sehr. Ein guter Kryptoanalytiker wird, wenn einmal der erste Einbruch in den Schlüssel geschafft war, bald ein bestimmtes System vermutet haben Guerra mandó ultimamente al Marchese dal Carretto“ (HHStA, Spanien, Dipl. Korr., Karton 25, Konv. 2, fol. 80-105, und Konv. 6, fol. 6). Diesen neuen, aus Wien überschick­ten Schlüssel werde ich im Folgebeitrag vorstellen. 111

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