Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)

DIRNBERGER, Franz: Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze (1918–1926)

260 Franz Dirnberger gestrichen werden. Im Anschluß daran verwies Herterich darauf, „daß sie [die Direktion] stets darauf bedacht ist, das künstlerische wie sitt­liche Niveau der Burgtheateraufführungen streng zu wahren, wie sie außerordentlich bemüht ist, alle tendenziösen und politisch gerichteten Stücke grundsätzlich vom Spielplan fernzuhalten.“ So sei Die heilige Johanna von Bernhard Shaw nicht angenommen worden, „da in diesem Stück sowohl politische wie kirchliche Angelegenheiten scharf satyrisch behandelt werden. Trotzdem das Burgtheater mit der Aufführung ein Kassenstück ersten Ranges gewonnen hätte und der Schaden der Nichtannahme mit mehr als einer halben Milliarde beziffert werden kann, hielt die Direktion das Stück für die Gepflogenheiten des Burgtheaters nicht geeignet.“ Bei derart enormem Gewinnentgang rang sich die Verwaltung zu der Feststellung durch, daß bei erfolgversprechenden Stücken „gegen die Auf­führung des Werkes am Burgtheater obwaltende Bedenken im Einver­nehmen“ zu überprüfen wären. In dieser Selbstzensur unterschieden sich die vormaligen Hof-, dann Staats- bzw. Bundestheater von den privaten Betrieben; das sittlich-moralische Niveau gehörte einmal ebenso zum fe­sten traditionsbestimmten Programn dieser Institute wie die hohe künst­lerische Darstellung — Anforderungen, die man heute bisweilen leider vermißt. Die Aufhebung jeder Form der Zensur, also auch der Theaterzensur, stand im Zwiespalt zwischen den Idealvorstellungen völliger Freiheit in der jungen Republik gegenüber den Schranken der verblichenen Mon­archie einerseits und der Notwendigkeit andererseits, Ruhe und Ord­nung aufrecht zu erhalten, Religion und sittliche Werte nicht schranken­losen Angriffen auszusetzen. Dieser Zwiespalt begann jedoch schon 1848 und wird sich wahrscheinlich nie völlig beseitigen lassen.

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