Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)

DIRNBERGER, Franz: Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze (1918–1926)

Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze 257 den Landesbehörden nicht Widerspruch zu erregen. Für das Bundeskanz­leramt war — im Gegensatz zu der vom Polizeipräsidenten vertretenen Ansicht — die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes „von der größten Wichtigkeit. Die blosse Repression im Wege des strafgericht­lichen Einschreitens wird wahrscheinlich gegenüber den aus einer derartigen schrankenlosen Freiheit zu gewärtigenden sitten verletzenden Vorführungen auf der Bühne nicht ausreichen, um einen einwandfreien Zustand zu garantie­ren. Zudem kann der Wegfall der Zensur bei den tiefgehenden Gegensätzen, die in der Bevölkerung in politischer, wirtschaftlicher und religiöser Bezie­hung bestehen, und bei der heiklen außenpolitischen Situation unseres Staates nur zu leicht zu den mannigfachsten Schwierigkeiten auf innen- wie auf au­ßenpolitischem Gebiet führen“. Nach hier vertretener Ansicht habe das Höchstgericht zwar „jede Zensur für verfassungswidrig“ erklärt, es werde „daher in Hinkunft selbstverständlich auch eine Zensur von Bühnenwerken nicht mehr stattfinden dürfen. Der Ver­fassungsgerichtshof hat aber eine Aufhebung der Theaterordnung oder einzel­ner Bestimmungen derselben nicht ausgesprochen und es wird daher auch fernerhin daran festzuhalten sein, daß jede Bühnenproduktion der vorgängi­gen Aufführungsbewilligung bedarf. Die Überprüfung des Inhaltes der Büh­nenwerke vor Erteilung der Aufführungsbewilligung kann allerdings nicht mehr im Wege einer Zensur, d. h. durch Abänderung des Textes durch die Behörde erfolgen, sondern es wird, wenn der Inhalt eines Bühnenwerkes den Anlaß dazu bietet, nur die Verweigerung der Aufführungsbewilligung auszu­sprechen sein. Die Teile des Inhaltes, welche die tatsächliche Grundlage für eine solche Verweigerung darstellen, müssen allerdings dem Einschreiter be­kannt gegeben werden, jedoch muß es diesem selbst überlassen bleiben, allen­falls im Einvernehmen mit dem Autor diejenigen Änderungen des Textes vor­zunehmen, welche erforderlich sind, um die öffentliche Vorführung des Büh­nenwerkes zu ermöglichen“. An diese für Theaterproduktionen betreffenden Passagen schließen noch analoge Richtlinien bezüglich der öffentlichen Vortrags Veranstaltungen und Kinovorstellungen. Dieser „Erlaß“ fordert zu einem kurzen gedanklichen Verweilen auf. Es ist richtig, daß das Höchstgericht keinen einzigen Punkt der bestehenden Vorschriften aufgehoben oder namentlich in Frage gestellt hat, sondern die Entscheidung auf die „Zensur“ beschränkt ist. Nach Ansicht des Prä­sidenten des Verfassungsgerichtshofes Dr. Vittorelli kommt es, wie oben vermerkt, freilich nicht auf den Wortlaut des Gesetzes an, sondern auf die praktische Handhabung. Die Beamten des Bundeskanzleramtes ver­standen unter „Zensur“ die „Abänderung des Textes durch die Behörde“, — eine sehr eigenwillige Auffassung. Diese Besonderheit des behördli­chen Verfahrens habe in Hinkunft zu entfallen. Die Texte wären nach wie vor zu lesen und nach moralischen, politischen, wirtschaftlichen und religiösen Gesichtspunkten zu beurteilen, ob sie für eine Aufführung zu­gelassen werden könnten oder nicht. Der Grund der Verweigerung sollte dem Einschreiter (Theaterunternehmer, Theaterleiter) genau bekannt ge­geben werden, eine in allgemeinen Wendungen gehaltene Ablehnung wä­re nicht ausreichend. Dem Bühnenleiter oder Autor verbliebe die Mög­Mitteilungen, Band 36 17

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