Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)
DIRNBERGER, Franz: Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze (1918–1926)
Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze 251 in erster Instanz durch das Innenministerium erteilen zu lassen. Dagegen habe der Vertreter der Prokuratur erklärt, „daß sich zweifellos der Standpunkt vertreten ließe, die ohnehin von der Bundestheaterverwaltung geleiteten Theater hätten keiner weiteren Zensurstelle zu unterstehen **). Wenn aber eine Aufführungsbewilligung auch für die Bundestheater gefordert werde, hätte die Bundestheaterverwaltung keinen Anlaß, gegen die vorgeschlagenen Bestimmungen (Aufführungsbewilligung durch den Landeshauptmann) Einwendungen zu erheben“. Wie bei den Bauangelegenheiten erhoffte sich die Bundestheaterverwaltung mit dem Magistrat von Wien leichtere Verhandlungen als mit dem Innenamt. Unter diesem Aspekt unterstrich Präsident Dr. Vetter die Worte „keinen Anlaß ... Einwendungen zu erheben“ und notierte am Rande die Worte: „Gesehen mit dem Bemerken, daß Herr Vizekanzler Breisky mir über Wunsch des Herrn Kanzlers Schober mitteilt, daß die Bundestheaterverwaltung sich einer neuerlichen derartigen Stellungnahme enthalten möge. — Mündlich Herrn Hofrat Löw mitgeteilt. Ad acta. 16. III. 1922“ mit Unterschrift. Wie oben gezeigt wurde, wollte Dr. Schober schon seit längerer Zeit eine Reform in diesem Bereich. Inwieweit er einer Beseitigung der Sonderstellung der Bundestheater zustimmte, die Dr. Hampel mit Unterstützung der Theaterdirektoren anstrebte, läßt sich schwer feststellen45 46). Aber die Differenzen lagen tiefer, sodaß es zu keiner Einigung kam. Während dieser Diskussionsphase mußten die Privattheater wie in früheren Zeiten um die Aufführungsbewilligungen einreichen, die unverhohlen als Zensurierung deklariert wurden 47); die Bundestheater blieben dagegen mehr oder minder unbehelligt. Zwar erreichte auch sie — über den Theaterdirektorenverband — die Nachricht, die Polizeidirektion habe die Vorlage der Stücke wenigstens zwei Wochen vor der geplanten Aufführung vorgeschrieben, doch hing es vom guten Willen der Direktoren der Staatsbühnen ab, ob ein Stück zur Zensurierung eingereicht wurde48). Diese Zwei-Wochen-Frist griff die Polizei aus dem Gesetzesantrag auf — nach dem Rundschreiben in dem Sinne, „als ob das Gesetz beschlossen worden wäre“; Nichtbeachtung dieser Frist führe dazu, daß „mit einer rechtzeitigen Erledigung des Zensurierungsansuchens nicht gerechnet werden könnte“ 49). 45) Vgl. Entwurf Dr. Ofners: Dirnberger Konflikte 261 f (Hintanhaltung der doppelten Zensur). 4f>) BThV 1—2/36—8 ZI. 852 ex 1922. 47) Z. B. auch Titel im Amtskalender: „Zensur-Beirat für die Begutachtung der Zulässigkeit von Bühnenwerken für Niederösterreich“. «) BThV 35/5—1 ZI. 1620 ex 1924. Die Burgtheaterdirektion reichte z. B. für das Bühnenwerk Judastragödie von Egon Friedell bei der Polizeidirektion um die Aufführungsbewilligung ein, welche mit Bescheid vom 2. März 1923 erteilt wurde (unter Polizeidirektion Wien PB 35 TP: HHStA Burgtheater Correspondenz „Friedell“.) «) BThV 35/5—1 ex 1924.