Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)
DIRNBERGER, Franz: Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze (1918–1926)
Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze 245 seizes ankomme, sondern auf die Tatsache. Bei der nachfolgenden Abstimmung herrschte Stimmenparität unter den acht Verfassungsrichtern. Die Entscheidung fiel nach der Gerichtsordnung dem Vorsitzenden Dr. Vit- torelli zu, der aus nicht näher bekannten Gründen für die Beibehaltung der Theaterzensur und Abweisung der eingereichten Beschwerde stimmte. Die vom Gericht angeführten Entscheidungsgründe folgten weitgehend der Argumentation der Landesregierung24). Es wurde festgestellt, daß die Auffassung, mit dem Beschluß vom 30. Oktober 1918 sei auch die Theaterzensur aufgehoben, „weder dem Wortlaut des Beschlusses noch seinem aus den Begleiterscheinungen zu entnehmenden Sinn“ entspreche. Unter Zensur ohne Beiwort sei nur die Zensur der Presse zu verstehen, während die Theaterzensur mit diesem spezifizierenden Ausdruck versehen werde. Bei der damaligen Rechtslage hätte der Kampf nur der Zensur der Presse gegolten. Im übrigen sei auch im Entwurf des neuen Theatergesetzes eine ausreichende Kontrolle vorgesehen, welche formell mit der bisherigen Theaterzensur übereinstimme. Die gebotene Argumentation beseitigt freilich nicht alle Zweifel. Nach dem stenographischen Protokoll beschäftigte sich die provisorische Nationalversammlung in ihrer zweiten Sitzung tatsächlich mit dem „Antrag des Vollzugsausschusses betreffend das Preß-, Vereins- und Versammlungsrecht“ 25). Der Berichterstatter Dr. Julius Ofner betonte, daß es in einer Demokratie nicht genüge, „daß das Volk durch seine Abgeordneten spreche und handle: es muß immer Vorsorge getroffen sein, daß das Volk selbst unmittelbar und selbständig mitwirke ... Überall dort, wo ein demokratischer Geist entsteht, wird das Preß-, das Vereins- und Versammlungsleben in Freiheit entwickelt“. In der Kriegszeit sei eine Reihe von Staatsgrundgesetzen außer Kraft gesetzt worden, unter anderen das Preß-, Vereins- und Versammlungsrecht. Unter dem Druck der Öffentlichkeit habe die alte Regierung jüngst die Vorzensur bei den Zeitungen beseitigt, doch das genüge nicht. Es müsse jede Zensur aufgehoben werden, weil sie dem Grundrecht der Staatsbürger widerspreche. Der aufgezeigte Zusammenhang scheint die Argumentation der Landesregierung und der Verfassungsrichter zu bestätigen, zumindest entsprach der Gedanke der Aufhebung „jeder“ Zensur dem Bemühen um völlige Pressefreiheit. Die Frage, ob am 30. Oktober 1918 nicht auch andere Formen der Zensur gemeint sein konnten, bleibt weiter offen. In der 18. Sitzung am 6. Februar 1919 behandelte die provisorische Nationalversammlung den Antrag des Staatsrates „betreffend die Zensur 24) Für das Folgende wie Anm. 23; Druck in Sammlung der Erkenntnisse des deutsch-österreichischen Verfassungsgerichtshofes 1. H/1919 (Wien 1920) Nr. 32. 25) Stenographische Protokolle über die Sitzungen der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich 1918 und 1919 (Wien 1919) 57 f (2. Sitzung der provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918).