Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)

DIRNBERGER, Franz: Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze (1918–1926)

242 Franz Dirnberger worfene Frage zunächst unbeantwortet ließ 18). Dieses Festhalten an der Zensur erregte selbstverständlich den Widerspruch bei den Betroffenen. Mehrheitlich forderte man die Realisierung des Beschlusses vom 30. Ok­tober 1918 — oder wenigstens eine gründliche Reform der Zensurvor­schriften. Der Wiener Polizeipräsident Dr. Schober griff den Reformge­danken auf und setzte sich in einem Memorandum an das Staatsamt des Innern mit der Problematik der von 1850 stammenden Vorschrift aus­einander 19): Die Behörde mußte bisher „nicht nur blos als Hüterin der öffentlichen Ruhe und Ordnung, sondern als Schützerin des Kaiserhauses, der Armee, der Re­ligion und der Moral, sowie einzelner Klassen der Gesellschaft auftreten“. Sie mußte immer wieder „in den Entwicklungsgang neuer politischer, sozia­ler und kultureller Ideen und Probleme hemmend“ beziehungsweise „störend“ eingreifen, „anstatt dem sich vollziehenden Umgestaltungsprozesse die Mög­lichkeit ruhiger Entwicklung zu geben“. Große politische, soziale und kulturelle Bewegungen ließen sich auf Dauer nicht unterdrücken, lang anhaltender Zwang führe vielmehr zu nicht gutzumachenden Schäden. Die Polizei habe „ihre Zwangsmittel gegen Gefährdungen des Gemeinwohls anzuwenden, nicht aber durch die ihr zu Gebote stehenden Mittel Politik zu machen oder den Erzieher des Volkes zu spielen. War diese Bevormundung schon bisher nicht am Platze, so ist sie gegenwärtig, da das Selbstbestimmungsrecht des Volkes proklamiert wurde, überhaupt unhaltbar geworden. Gerade jetzt würde die Polizei ihre Aufgabe vollständig verkennen, wenn sie sich zum Lehrmeister und Sitten­richter in politischen, sozialen und kulturellen Angelegenheiten machen wür­de.“ Aus Gründen der Moral seien Werke von bedeutenden Dichtern verboten worden, während „die schlüpfrigsten Schwänke dagegen unter dem Drucke geschäftskundiger, skrupelloser Unternehmer zugelassen wurden“. Aus diesen Gründen sei also die Neuordnung der Theaterpolizei dringend erforderlich. Die Einwirkung der Behörde solle sich auf das Verbot einer Vorstellung oder die Einstellung einer Aufführung beschränken, „falls durch das Bühnenwerk der Tatbestand einer strafgesetzlich verpönten Handlung verwirklicht werde“. Allerdings könne durch ein nachträgliches Verbot nicht ausgeschlossen wer­den, daß die vielfach beträchtlichen Kosten für die Inszenesetzung unnütz ausgelegt wären. Aus diesem Grunde habe sich ein Teil der Theaterunterneh­mer mit einer reformierten Präventivzensur einverstanden erklärt. Die Ent­scheidung der Ablehnung eines Stückes müßte aber dem freien Ermessen der Beamten entzogen, das heißt objektiviert werden. Um dieses zu erreichen, schlug der Polizeipräsident ein unabhängiges Gremium vor, welches aus Ver­waltungsbeamten, Richtern, Theaterdirektoren, Schauspielern und Theaterdich­tern zu bestellen wäre. „Durch eine derartige Zusammensetzung des Zensur­kollegiums wäre eine gewisse Sicherheit dafür geboten, daß die Behörde nicht in übertriebener Ängstlichkeit oder unter dem Einflüsse von Faktoren ent­scheidet, welche nur auf die Berücksichtigung ihrer Sonderinteressen dringen“. Soweit das Memorandum, das sicherlich eine Reihe von Gedanken auf­griff, welche von der Öffentlichkeit her kamen. Die Anregungen fanden aber bei den Beamten des Staatsamtes kein Gehör. Der Antrag blieb un­ls) Eine Antwort kam erst nach einer Urgenz der Landesregierung von 1919 März 26, Pr. ZI. 668/2: IA ZI. 11300 ex 1919. 19) Polizeidirektion Wien Pr. ZI. 3129 von 1919 Mai 5 (bei IA ZI. 16711 ex 1919).

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