Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)

DIRNBERGER, Franz: Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze (1918–1926)

Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze 243 bearbeitet und wurde, da dieses Problem inzwischen auch im Parlament zur Sprache kam, Anfang 1922 endgültig zu den Akten gelegt20). Die Progressiven im Theaterbereich blieben nicht untätig. Allen voran startete die Neue Wiener Bühne ein Exempel. Unter Berufung auf den Beschluß vom 30. Oktober 1918 negierte die Direktion die Forderung der Polizei, für das Bühnenwerk Die Büchse der Pandora von Frank Wede­kind um eine Aufführungsbewilligung einzureichen. Die Generalprobe war für den 26. März 1919 vorgemerkt, ohne daß man — wie bisher üb­lich — der Polizei davon Mitteilung machte. Auf Befragen derselben teilte die Theaterleitung mit, daß sie gegen die Anwesenheit eines Behörden­vertreters bei der Generalprobe keinen Einwand hätte; sie verwahre sich jedoch dagegen, eine davon abhängig gemachte Aufführungsbewilligung anzuerkennen 21). Nach rund fünfzig erfolgreichen Aufführungen kündigte die Direktion für den 5. September 1919 die Premiere des satyrischen Stückes Dimpfl von Robert Kopal an22). Es kam auch termingemäß her­aus. Da der Text vor der geplanten Aufführung nicht zur Zensur einge­reicht wurde und der Polizei auch über die Abhaltung der Generalprobe keine Nachricht zukam, verhängte sie über die Theaterleijtung eine Geld­strafe von 400 Kronen wegen Verletzung der §§ 3 und 8 der Ministerial- verordnung vom 25. November 1850 (Theaterordnung) und der §§ 46 und 113 des niederösterreichischen Theaterbaugesetzes vom 14. März 191123). Die niederösterreichische Landesregierung bestätigte die Strafverfügung unter Ausschluß einer weiteren Berufung. Daraufhin reichte der Direktor der Bühne, Dr. Emil Goldmann-Geyer, vertreten durch Dr. Emil Franzos, eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ein. Er berief sich auf die eminente Bedeutung des Beschlusses vom 30. Oktober 1918, der unmittel­bar nach dem Beschluß über die grundlegende Einrichtung der Staats­gewalt gefaßt worden sei. Die Formulierung „jede“ Zensur schließe die Möglichkeit aus, daß hier nur die Pressezensur gemeint sein könne. Die Direktion beantragte daher die Annulierung der Strafverfügung. Der Verfassungsgerichtshof beschäftigte sich am 16. Dezember 1919 mit dieser Angelegenheit. In der zunächst öffentlichen Sitzung wiederholte der Vertreter des Staatsamtes des Innern im wesentlichen die von der Landesregierung vorgebrachten Argumente. Es beziehe sich dieser Be­schluß „trotz der unglücklichen Textierung“ nur auf die Presse-, nicht auf die Theaterzensur. Die Theaterordnung von 1850 kenne überhaupt keine Theaterzensur, sondern nur eine Aufführungsbewilligung. Der Aus­druck „Zensur“ komme nur in § 13 Absatz 2 des Staatsgrundgesetzes 20) Urgenz der Polizeidirektion von 1920 März 17, Pr. ZI. 871 (bei IA ZI. 16711 ex 1919). 21) Nach Mitteilung der Landesregierung an IA (wie Anm. 18). 22) Z. B. in Wiener Zeitung, 1919 September 2 bzw. 5; Besprechung: Sep­tember 7. 22) Abfolge aus AVA Verfassungsgerichtshof (VfGH) ZI. 24 ex 1919. 16*

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