Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)

DIRNBERGER, Franz: Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze (1918–1926)

Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze 241 mir kein Grund vorzuliegen, weshalb, wenn eine Zensur für die Hoftheater überhaupt weiterbesteht, eine andere Stelle damit betraut werden sollte als die, welche eine langjährige Erfahrung als Anspruchstitel für sich ins Treffen führen kann.“ Das Theaterdepartement der Verwaltung des Hofärars empfahl, wöchent­lich zwei Freisitze in einem der Theater zu bewilligen. Dr. Beck stimmte diesem Vorschlag zu; bezüglich der Zensur ließ er sich auf keine Diskus­sion ein. In den Umsturztagen berichteten die Zeitungen laufend über das politi­sche Geschehen, auch über die Beschlüsse der provisorischen National­versammlung. In der amtlichen Wiener Zeitung erschienen die Beschlüsse vom 30. Oktober 1918 verspätet, nämlich erst am 15. November. An diesem Tage wurden auch die ersten Nummern des Staatsgesetzblattes heraus­gegeben. Nun nahm die niederösterreichische Regierung den Zensurbe- schiuß vom 30. Oktober zur Kenntnis. Am 25. November richtete sie ein Schreiben an das Staatsamt des Inneren und bat um Auskunft, wie dieser Beschluß zu verstehen sei16). Die Landesregierung vertrat den Stand­punkt, daß sich der Beschluß nur auf die Pressezensur beziehe; doch sei auch die Deutung möglich, daß die Theater- und Kinozensur mitbetrof­fen wäre. Diese aufzuheben, wäre sehr bedenklich, „weil einzelne Thea­ter und fast alle Kinos beim Wegfalle der Zensur sicherlich durch Vor­führung unsittlicher oder dem Gebiete der Schauerromanliteratur ent­lehnter Machwerke exzedieren würden. Hiedurch wäre namentlich die Gefahr einer Verrohung und sittlichen Corruption der heranwachsenden Jugend gegeben, was unter allen Umständen, insbesondere aber in der gegenwärtigen unruhigen Zeit, hinangehalten“ werden müsse, Im eigenen Wirkungsbereich verfügte die Landesregierung zur gleichen Zeit eine Vereinfachung des Zensurierungsverfahrens 17). Ab nun stand der Polizei­direktion das Recht zu, die Bühnenstücke sofort oder nach Beseitigung der bedenklichen Stellen frei zu geben. Die Freigabe eines Bühnenstük- kes war der Landesregierung nur mehr anzuzeigen. Ließ sich die Direk­tion eines Theaters oder ein Autor zu den geforderten Änderungen nicht herbei oder war ein Stück von vornherein zur Aufführung ungeeignet, mußte es zur weiteren Entscheidung und abschlägigen Erledigung der Landesregierung vorgelegt werden. Grundsätzlich sollte bei der Beur­teilung der Bühnenstücke bzw. der Inszenesetzung „im Vergleiche zur bisher beobachteten Übung ein den Zeitverhältnissen entsprechend modi­fizierter Maßstab“ angelegt werden. Dies bezog sich vor allem auf so­zialkritische Stücke, deren Aufführung nun weitgehend gestattet wurde. Prinzipiell hielt die Landesregierung jedoch an der Theaterordnung von 1850 fest; und sie verblieb dabei, da das Staatsamt des Innern die aufge­16) Pr. ZI. 3326: AVA Staatsamt des Innern (IA) 20/6 ZI. 1424 ex 1918. Die hier verwendeten Akten des Innenamtes liegen in den Kartons 4809 bis 4812. 17) Pr. ZI. 3326 (Abschrift bei IA ZI. 3383 ex 1918). Mitteilungen, Band 36 16

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