Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 36. (1983)

DIRNBERGER, Franz: Theaterzensur im Zwielicht der Gesetze (1918–1926)

240 Franz Dirnberger sowie Dienstlogen und -sitze in den Hoftheatern. Der Verkauf dieser Plätze sollte zur Erhöhung der Einnahmen beitragen, welche für die Aufrechterhaltung der Betriebe dringend notwendig waren. Zu den Be­troffenen zählte der 1910 pensionierte Sektionschef im Literarischen Büro des Ministeriums des Äußern und des kaiserlichen Hauses, Hofrat Dr. Emil Jettel Freiherr von Ettenach. Bis zur Ernennung Andrians war er rund zwanzig Jahre lang Hoftheaterzensor. Um die bisher genossenen Freisitze zu retten, wandte sich Jettel an den Staatsnotar Dr. Sylvester, den Chef der hof ärarischen Verwaltung, der auch die Hof theater unterstanden. In einem Memorandum wies er auf die Gründe hin, die seinerzeit zur (Wie- der-)Einführung der Theaterzensur geführt hatten und welche Absicht mit der Bestellung der Theaterbeiräte verbunden gewesen war 13): „Die Existenz eines solchen, der obersten Verwaltung der Hoftheater beigeord- neten konsultativen, unparteiischen und unabhängigen Beirates bietet den Vor­teil, daß er der Theaterleitung ein gut Teil der Verantwortung für die aufzu­führenden Stücke abnimmt. Seine Nützlichkeit hat sich in den 20 Jahren, während welcher ich das Amt versah, in unzweifelhafter Weise dargetan. In dieser Erwägung dürfte sich die Verwaltung des Hofärars vielleicht doch be­stimmt finden, die Zensur für Burg- und Operntheater weiterhin bestehen zu lassen, und für den Fall mir, wenn auch nicht in dem bisherigen Umfange, eine entsprechende Entschädigung zuzubilligen.“ Die Frage, ob die Zensur wieder eingeführt werden solle, war aber der Entscheidung des Staatsnotars entzogen. Am 30. Oktober 1918 beschloß nämlich die provisorische Nationalversammlung, „jede Zensur ... als dem Grundrecht der Staatsbürger widersprechend als rechtsungültig“ aufzuheben 14). Das galt selbstverständlich nun auch für die ehemaligen Hoftheater; sie von diesem Beschluß auszunehmen, stehe nur der Natio­nalversammlung oder dem Staatsrat zu. In diesem Sinne antwortete Dr. Sylvester dem früheren Hoftheaterzensor am 15. Jänner 1919. Aber Jettel begnügte sich nicht mit dieser Antwort. Ende Juli wandte er sich an Sylvesters Nachfolger, den Obersten Verwalter des Hofärars Dr. Beck 15). Zunächst hob er hervor, daß er für seine langjährigen Dienste als Zensor keine Entschädigung oder Anerkennung in den Ruhegenüssen erhalten habe, wie dies sonst bei den Beamten üblich gewesen sei. Bei der schlech­ten finanziellen Lage des Staates verlange er auch keine nachträgliche Abgeltung; er bat vielmehr um zwei Freisitze abwechselnd in einem der ehemaligen Hoftheater für die Zukunft. Was den Beschluß der provisori­schen Nationalversammlung betraf, widersprach Jettel jedoch heftig: „Abgesehen von der sehr streng gehandhabten Briefzensur besteht nicht nur die Zensur für die Privattheater weiter, sie wurde neuerdings von der Poli­zeidirektion auch für die Hoftheater in Anspruch genommen. Es steht mir nicht zu, ob dieser Anspruch in Anbetracht der Sonderstellung, welche die ehemali­gen Hoftheater auch jetzt noch einnehmen, anzuerkennen ist. Immerhin scheint 13) HHStA Staatsnotariat (StN) ZI. 86 ex 1919. i<) StGBl. Nr. 3 ex 1918. is) StN ZI. 1346 ex 1919.

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