Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)
HEINDL, Waltraud: Universitätsreform – Gesellschaftsreform. Bemerkungen zum Plan eines „Universitätsorganisationsgesetzes“ in den Jahren 1854/55
138 Waltraud Heindl stalten, bestimmt für die Ausbildung von Lehrern, Beamten und Pfarrern. Der Zusammenhang von Universität und Fremdverwaltung, der sozusagen selbstverständliche Zugriff des Staates, wie er bei anderen Lehranstalten ebenfalls praktiziert wurde, wird damit verständlicher. Im Zuge der Revolution von 1848 wurde am 30. März 1848 vom ersten Unter- richtsminister Franz Freiherm von Sommaruga in einer offiziellen Ansprache der Grundsatz der Lehr- und Lemfreiheit für die österreichischen Universitäten öffentlich ausgesprochen und die Reform der Studienordnung in diesem Sinne in Aussicht gestellt. Das gegebene Wort wurde bald eingelöst12). Am 30. September 1849 erschien bereits das „Provisorische Gesetz über die Organisation der Akademischen Behörden“13), das aus zwei Teüen bestand. Der erste galt für sämtliche österreichischen Universitäten, der zweite nur für die alten Universitäten Wien und Prag, an denen „eigenthüm- liche Verhältnisse“ herrschten. Als wichtige Neubestimmung hinsichtlich der Autonomie der Universität wurden das Amt des Studiendirektors aufgehoben — womit zugleich die Bevormundung der Universität durch den Staat aufhörte - und die Selbstverwaltung durch frei gewählte Dekane statuiert. Ein akademischer Senat, der aus den Professorenkollegien der vier Fakultäten hervorgehen sollte, wurde als leitende Behörde der Studienabteilung eingesetzt. Er sollte im allgemeinen aus dem Rektor, Prorektor, den Dekanen und Prodekanen der Professorenkollegien der vier Fakultäten bestehen. Auch der Rektor sollte aus den Reihen der ordentlichen Professoren stammen und jährlich aus einer anderen Fakultät gewählt werden, allerdings nicht mehr (wie es bisher in Wien und Prag geschah) von den vier „historischen“ Nationsprokuratoren, sondern von Vertretern der Fakultäten, vier Wahlmännern, von denen zwei ordentliche Professoren sein mußten, die anderen beiden außerordentliche Professoren oder Privatdozenten sein konnten. Für die Universitäten Wien und Prag, an denen die alteingesessenen, mächtigen Doktorenkollegien bestanden, wurde eine Sonderregelung (zweiter Teil des provisorischen Gesetzes) getroffen: Die Doktorenkollegien blieben bestehen. Im Gesetz hieß es zwar, die Fakultät werde von Professoren, Doktoren und den immatrikulierten Studenten gebildet. Allerdings waren nur zwei Vertretungen, ein Professoren- und ein Doktorenkollegium, vorgesehen. Jedes der beiden Kollegien der vier Fakultäten hatte einen eigenen frei gewählten Dekan sowie Prodekan. Die Dekane der Doktorenkollegien hatten zugleich Sitz und Stimme im Professorenkollegium und umgekehrt der Dekan des Professorenkollegiums das gleiche Recht im Doktorenkollegium. Die Dekane der Doktorenkollegien waren Mitglieder des Akademischen Senats, der in Wien aus Rektor, Prorektor, dem Kanzler (Dompropst von St. Stephan), den vier Dekanen und vier Prodekanen der Professorenkollegien sowie den vier Dekanen der Doktorenkollegien gebildet wurde. Während an den anderen Universitäten des Kaisertums Österreich der Rektor nur aus den Reihen der 12) Zum folgenden Geschichte der Wiener Universität (wie Anm. 1) 25ff. 13) Siehe Anm. 3.