Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)

HEINDL, Waltraud: Universitätsreform – Gesellschaftsreform. Bemerkungen zum Plan eines „Universitätsorganisationsgesetzes“ in den Jahren 1854/55

Universitätsreform — Gesellschaftsreform 139 Professoren hervorgehen konnte, wurde für Wien und Prag die Ausnahmebe­stimmung geschaffen, daß auch jeder immatrikulierte Doktor wählbar war; allerdings wurde gleichzeitig die Hoffnung ausgesprochen, daß „in der Regel ein ausgezeichneter Professor“ gewählt werde14). Dieses provisorische Gesetz stellte einen Kompromiß dar, der durch die zwei prominentesten Vertreter der Reform des Jahres 1849 zustande gekommen war: Ernst Freiherr von Feuchtersieben, Arzt, Dichter und Philosoph, nun Unterstaatssekretär im neugegründeten Unterrichtsministerium, selbst Mit­glied des Doktorenkollegiums, war ein Verehrer des englischen College- und des auf naturwissenschaftlichem und medizinischem Gebiet ausgezeichneten französischen Fachschulsystems und bevorzugte die Doktorenkollegien. Der Philosoph Franz Exner, früher Professor in Prag, befürwortete die Ordina­rienfakultät nach deutschem Muster15). Der aus diesen beiden Richtungen hervorgegangene Kompromiß - das soll vorausgeschickt werden - schlug fehl: Von 1849 bis 1873 standen sich die beiden Kollegien an der Wiener Universität feindlich gegenüber. Dies wirkte sich auf die Abwicklung der gemeinsamen Agenden, die sie gesetzlich auszuüben hatten (u. a. Abnahme der Rigorosen, Erstellung von Gutachten, Vornahme von Graduierungen und Nostrifizierungen) nicht eben fördernd aus. Da das provisorische Gesetz von 1849 allein schon durch die Zusammensetzung des Akademischen Senats eindeutig darauf abzielte, die Doktorenkollegien ihrer alten Macht zu ent­kleiden, und sich sehr bald in der Praxis ihre tatsächliche Ohnmacht erwei­sen sollte - das Abstimmungsverhältnis stand regelmäßig 8 : 4 für die Profes­soren -, gingen die Quertreibereien von den Doktoren aus. Vor allem das Doktorenkollegium der philosophischen Fakultät formulierte unter der Wort­führung des prominenten Sebastian Brunner, der damals Doktorendekan war, bereits 1853 eine scharfe Ablehnung des Gesetzes von 1849 und forderte die Einsetzung der Doktoren in ihre alten Rechte16). Ein ähnliches Gesuch wurde bald darauf vom Doktorenkollegium der medizinischen Fakultät ein­gebracht17). Eine Causa, um die z. B. 25 Jahre hindurch heftige Kämpfe entbrannten, war die Abhaltung von Promotionen, die die Doktoren als Träger der historischen Überlieferung immer wieder für sich reklamierten18). III Sei es, um das Reformwerk zu vollenden, sei es, um diesen Zuständen ein Ende zu bereiten, brachte Thun den Entwurf eines Statuts für die Universi­14) Geschichte der Wiener Universität 29—36. 15) Ebenda 30. 16) Gail Doktorenkollegien 51 f. 17) Vortrag Thuns von 1854 Juni 4: HHStA Kabinettskanzlei MCZ. 1801/1854. ls) Eine ausgezeichnete Quelle bezüglich der Auseinandersetzungen seit 1849 ist der Motivenbericht Thuns (wie Anm. 9).

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