Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)
HEINDL, Waltraud: Universitätsreform – Gesellschaftsreform. Bemerkungen zum Plan eines „Universitätsorganisationsgesetzes“ in den Jahren 1854/55
Universitätsreform — Gesellschaftsreform 137 dem Argument, das Amt eines Dekans oder Rektors hielte einen Professor von seinen Lehrverpflichtungen ab, außerdem wären Professoren oft nur kurz und vorübergehend an einer Universität und würden so zu wenig Interesse für die Fakultät aufbringen9). Der Rektor, der an der Spitze der Universität stand, konnte ebenfalls - in der Zeit vor 1848 - von den Prokuratoren der studentischen Nationen aus dem Kreis aller Mitglieder der Fakultät gewählt werden. Er war aber seit vielen Jahren kein Professor, sondern eine prominente Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Seit 1838 kannte man die deutsche, ungarische, slawische und italienische Nation10), — ein freilich kläglicher Rest der alten studentischen Selbstverwaltung. Der Rektor stand dem akademischen Senat (in Wien Universitätskonsistorium genannt) vor, der in Wien aus folgenden Mitgliedern bestand: dem Kanzler (Dompropst von St. Stephan), den vier Studiendirektoren, den vier Dekanen, den vier Senioren (Professoren oder Nichtprofessoren), den vier Prokuratoren der akademischen Nationen und dem Syndikus. Die in ihrem Wesen ausgehöhlt scheinenden Fakultäten hatten jedoch weiter wichtige Funktionen zu erfüllen. Sie galten als Träger der alten Traditionen und hatten demnach das Vermögen und die Verwaltungsangelegenheiten der Universität zu besorgen, nahmen Graduierungen vor, erstellten Gutachten, hatten das Recht, Gebühren einzuheben (seit Maria Theresia kassierten sie einen bedeutenden Anteil der Promotions- und Disputationstaxen) und alle Stiftungen zu verwalten. Da die Professoren nur ausnahmsweise Mitglieder der Fakultäten waren, hatten somit die Doktoren Vermögen und Verwaltung der Universität in den Händen - und damit auch einen Gutteil der Herrschaft. Es war so weit gekommen, daß sie für die Öffentlichkeit die Fakultät repräsentierten. Den Professoren waren im wesentlichen keine anderen Kompetenzen geblieben, als aus den vorgeschriebenen, von der Studienhofkommission approbierten Büchern zu lesen. Gerade weil uns dieses System heute unbekannt und daher wenig verständlich ist, soll in diesem Zusammenhang auf das Faktum hingewiesen werden - wie schon Alphons Lhotsky betont hatte -, daß es nämlich in Österreich trotz dieser Umstände vor 1848 eine recht blühende Forschung gab, die aber ausschließlich an den Hofinstituten betrieben wurde11). Es herrschte also strikte Trennung von Lehre und Forschung. Die Universitäten waren reine Lehran9) „Auseinandersetzung der Motive für die Grundzüge über die statutarische Verfassung der Wiener Universität“ Thuns (im folgenden zitiert als Motivenbericht Thuns), s. d.: Beilage zum Ministerkonferenzprotokoll (im folgenden MK) von 1854 Dezember 5, 12, 16 und 19 und 1855 Januar 13: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (im folgenden HHStA) Kabinettskanzlei MCZ. 3940/1854. Diese Aktenstücke werden publiziert in Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848-1867, Abteilung III: Das Ministerium Buol-Schauenstein 3: 11. Oktober 1853 - Dezember 1854, bearb. v. Waltraud Heindl (Wien voraussichtlich 1983). 10) Kink Geschichte der k. Universität Wien 1 626 Anm. 841. Zum folgenden ebenda 625—630. u) Aphons Lhotsky österreichische Historiographie (Österreich Archiv, Wien 1962) 139-156.