Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 35. (1982)
HEINDL, Waltraud: Universitätsreform – Gesellschaftsreform. Bemerkungen zum Plan eines „Universitätsorganisationsgesetzes“ in den Jahren 1854/55
136 Waltraud Heindl tenuniversität in eine Staatsanstalt5), deren Autonomie schrittweise aufgehoben wurde: Der Universität wurde zunächst die Gerichtsbarkeit und das Vermögen aus der Hand genommen und das „Studium“ der vier Fakultäten samt ihren Repräsentanten, den Professoren, seit 1754 staatlich ernannten Studiendirektoren unterstellt, die die Fakultätssitzungen einzuberufen, zu präsidieren und die Professoren dahingehend zu überwachen hatten, ob sie sich an die vorgeschriebenen Lehrbücher in ihrem Vortrag hielten, sowie Disziplin und Studienfortgang der Studenten kontrollierten. Charakteristisch an dieser Universitätsverfassung ist, und dies geilt besonders für die alten Universitäten Wien, Prag und Krakau, daß ihre Form als Korporation unangetastet blieb6): Die Fakultät bestand weiterhin aus lehrenden und allen an ihr graduierten, „einverleibten“ Doktoren, außerdem aus den „am Platz“ die Praxis ausübenden Ärzten und Rechtsanwälten, denen es im übrigen zur strengen Pflicht gemacht wurde, sich, sollten sie an einer anderen inländischen Universität promoviert worden sein, in die entsprechende Fakultät der Universität Wien inkorporieren zu lassen. Professoren, die an einer inländischen Universität ihren Doktorgrad erworben hatten, konnten sich unter Umständen in die Fakultät aufnehmen lassen, sie waren aber prinzipiell nicht Mitglied der Fakultät7). Diese war außer, wie bereits erwähnt, in Studienangelegenheiten, die den Unterrichtsbehörden unterstellt waren - der Leitung des Dekans anvertraut. Letzterer wurde unter Aufsicht des Studiendirektors aus den Reihen der Fakultätsmitglieder gewählt. Dekan konnte demnach ein lehrender oder nicht lehrender Doktor, unter Umständen auch ein Professor sein. Unter Maria Theresia war es allerdings überhaupt verboten, Professoren zur Dekans- oder Rektorswürde zu wählen, während der Regierungszeit Josephs II. waren umgekehrt nur Professoren zu diesen Würden zugelassen, unter Leopold n. und Franz II. (I.) konnten zunächst Professoren und Doktoren gewählt werden, bis schließlich die Professoren der juridischen und medizinischen Fakultät durch das Gesetz von 1818 für einige Zeit wieder gänzlich von den akademischen Würden ausgeschlossen wurden8). Begründet wurde der Ausschluß der Professoren mit 5) Zum folgenden Christoph Thienen-Adlerflycht Wandlungen des österreichischen Studiensystems im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert in Student und Hochschule im 19. Jahrhundert (wie Anm. 2) 30 f. - Zur Studienreform im 18. Jahrhundert vgl. vor allem Grete Klingenstein Vorstufen der Geschichte der Theresianischen Studienreformen in der Regierungszeit Karls VI. in MIÖG 76 (1968) 327—377; dsbe Akademikerüberschuß als soziales Problem im aufgeklärten Absolutismus. Bemerkungen über eine Rede Joseph von Sonnenfels’ aus dem Jahre 1771 in Bildung, Politik und Gesellschaft. Studien zur Geschichte des europäischen Bildungswesens im 16. bis zum 20. Jahrhundert (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 5, hg. von Grete Klingenstein, Heinrich Lutz und Gerald Stourzh, Wien 1978) 165-204; auch Moritz Csáky Von der Ratio Educationis zur Educatio Nationalis. Die ungarische Bildungspolitik zur Zeit der Spätaufklärung und des Frühliberalismus ebenda 205—218. 6) Gail Doktorenkollegien 47. 7) Vgl. auch vor allem Rudolf Kink Geschichte der k. Universität zu Wien 1 (Wien 1854) 432-590. 8) Thienen-Adlerflycht Wandlungen des österreichischen Studiensystems 30.