Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

SCHUBERT, Peter: Der österreichisch-italienische Gegensatz im Spiegel der Militärattachéberichte aus Bern (1908–1915)

Der österr.-ital. Gegensatz im Spiegel der Militarattachéberichte 249 Fand sie doch am 15. Oktober 1908 - unmittelbar nach dem Ausbruch der Annexionskrise um Bosnien und die Herzegowina, wenige Tage nach dem Bekanntwerden der serbischen Mobilmachung gegen die Donaumonarchie, somit in unmittelbarer Kriegsgefahr — statt, zu einem Zeitpunkt also, da etwa Conrad die Gefahr eines militärischen Zusammenstoßes durchaus nicht auf den Balkan beschränkt glaubte, sondern vielmehr auch mit einer kriege­rischen Auseinandersetzung zwischen Österreich-Ungarn und Italien zu rechnen war11), wofür sich Conrad wenig später auch die Unterstützung des deutschen Verbündeten geben ließ12). Und Sprecher bot in dieser krisenhaf­ten Entwicklung den österreichischen Militärs nicht weniger als die sofortige Offensive der Schweizer Truppen im Falle einer italienischen Grenzverlet­zung oder auch nur einer Grenzbedrohung und die schriftliche Fixierung dieser Absprachen an, wobei der Schweizer noch in das Gespräch einfließen ließ, daß ähnliche, schriftlich fixierte Abmachungen mit dem Deutschen Reich bereits bestünden13), — wobei diese letzte Bemerkung Sprechers auch noch als deutlicher Hinweis auf die kaum vorhandenen Absprachen zwischen den österreichisch-ungarischen und deutschen militärischen Führungsgre­mien gelten kann. Für die zwischen der Donaumonarchie und der Eidgenossenschaft geführten Gespräche läßt sich zur Zeit eine derartige schriftliche Abmachung aus den Akten noch nicht beweisen14), und auch eine schriftliche Fixierung hätte kein staatsrechtliches Bündnis dargestellt, denn dazu wären weder Conrad noch Sprecher berechtigt gewesen. Allerdings lassen sich die Auswirkungen dieser Verhandlungen in ihren Nachwirkungen bis zum Ende der Donaumo­narchie nachweisen: Beide Seiten leiteten daraus Rechte und Pflichten ab15). Diese Nachwirkungen sind auch ein wesentlicher Anhaltspunkt dafür, daß derartige schriftliche Abmachungen tatsächlich existierten. Weitere Indizien finden sich vor allem in Conrads Memoiren Aus meiner Dienstzeit, die als wahrscheinlichsten Zeitpunkt für die Unterzeichnung eines derartigen Do­kumentes - auch wenn es Conrad in seinen Memoiren verständlicherweise nicht erwähnt — Conrads Besuch in der Schweiz im Sommer 1910 anläßlich der Schweizer Manöver nahelegen16). Immerhin war die Armee der Donau­monarchie bei diesen Manövern mit fünf Offizieren — darunter der Chef des Generalstabes und der Leiter des Operationsbureaus des Generalstabes — n) Conrad Dienstzeit 1 83 und 114. 12) Ebenda 142. 13) KA Conrad Archiv B 1 1908 53: Berlepsch an Conrad, 1908 Oktober 15, Res. Nr. 22. Zum Bündnisvertrag Deutschland — Schweiz vgl. Immanuel Geiss Juli­krise 1914. Die europäische Krise und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges (München 1965) 622f Dok. 1070. 14) Dannecker Schweiz und Österreich-Ungarn 236ff. 15) Vgl. dazu die entsprechenden Kapitel meiner Dissertation Die Tätigkeit des k. u. k. Militärattachés in Bern während des Ersten Weltkrieges 1914-1918 (1919), gedruckt in der Reihe Studien zur Militärgeschichte, Militärwissenschaft und Konflikt­forschung 26 (Osnabrück 1980). 16) Conrad Dienstzeit 2 (1922) 35 und 95. v

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