Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)
SCHUBERT, Peter: Der österreichisch-italienische Gegensatz im Spiegel der Militärattachéberichte aus Bern (1908–1915)
250 Peter Schubert vertreten, während die übrigen Nachbarstaaten der Eidgenossenschaft nur mit je drei Offizieren die Übungen beobachten ließen17). Vor allem ist jedoch von diesem Zeitpunkt an ein deutlicher Bruch in Conrads Auffassung in bezug auf die Schweiz - und Italien — feststellbar; denn allzu deutlich zeigt sich Conrads zunehmende Aggressivität gegenüber Italien parallel mit seiner Überzeugung eines eidgenössischen Engagements gegen das italienische Königreich! So erinnerte sich Conrad in einem Überblick über die Lage zu Jahresende 1909 an eine Kontaktaufnahme mit Schweizer Spitzenoffizieren, um eine Garantie der Schweizer Verteidigungsbereitschaft gegen italienische Umgehungsangriffe über eidgenössisches Gebiet gegen die österreichisch-ungarische Stilfserjochstellung zu erhalten. Conrad erhielt daraufhin eine „beruhigende Versicherung“18), die er allerdings in seiner Jahresdenkschrift für 1909 ebensowenig erwähnt, wie die italienfeindliche Haltung der höchsten Schweizer Offizierskreise19). Gänzlich anders liest sich dagegen seine Jahresdenkschrift für das Jahr 1910, die Conrad im Herbst, wenige Monate nach dem oben erwähnten Manöverbesuch, verfaßt hat: Zu diesem Zeitpunkt war Conrad der Ansicht, der italieni- che Irredentismus dränge „die Schweiz auf Seite jener Staaten, welche von der gleichen Gefahr bedroht sind, d. i. vor allem Österreich-Ungarn. Hier die Fäden aufzugreifen und im Kriegsfälle die Schweiz auf eigener Seite zu haben, hiezu in derselben die deutsche Richtung zu stärken, ist Aufgabe der Politik“20). Besonders interessant erweist sich unter dem Aspekt der Parallelität zwischen eidgenössischer Bündnisbereitschaft und Conrads Aggressivität gegen Italien seine Denkschrift vom 15. November 1911, deren Forderung nach dem Präventivkrieg zu Conrads vorübergehender Entlassung führte. In der Schweiz verzeichnete der Generalstabschef „ ... eine immer mehr Raum gewinnende Anschauung ..., daß sich die Schweiz durchaus nicht gebunden erachtet, von aktivem kriegerischen Auftreten abzustehen, wobei insbesondere betont wird, daß speziell dem jungen Königreich Italien gegenüber eine derartige Neutralitätsverpflichtung nicht bestehe. Da nun die Schweiz gleichfalls von der italienisch-irredentistischen Agitation bedroht ist und gegen Italien sehr ungünstige Grenzverhältnisse hat, so ist bei entsprechender Politik zu hoffen, daß die Monarchie im Falle eines Krieges gegen Italien die Schweiz als Verbündeten zur Seite haben würde, worin ein ganz bedeutender Vorteü gelegen wäre“ 21). Conrad stützt sich also in den Denkschriften von 1910 und 1911 teilweise fast im Wortlaut auf die Militärattache-Berichte aus Bern aus dem Jahre 1908, geht jedoch in wichtigen Punkten darüber hinaus, was wohl den Schluß nahelegt, daß es auch weitergehende Gespräche - wenn schon nicht 17) Foto: Schweizer Manöver 1910. 2. Armeekorps, Abordnungen der fremdländischen Offiziere (eine Kopie im Besitz des Verfassers). 18) Conrad Dienstzeit 1 206. 19) Ebenda 269. 20) Ebenda 2 84. 21) Ebenda 2 442.