Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 33. (1980)

SCHUBERT, Peter: Der österreichisch-italienische Gegensatz im Spiegel der Militärattachéberichte aus Bern (1908–1915)

248 Peter Schubert gesprochen hatten, daß somit die einzige konkrete militärische Bedrohung der Schweiz durch Italien in der Zusammenarbeit der beiden Verbündeten Österreich-Ungarns drohte5). Im Generalstabschef der Donaumonarchie, dem als Italienfeind bekannten Conrad von Hötzendorf, hatte Sprecher den idealen Partner für seine Ab­sichten gefunden, vertrat Conrad doch die Idee, den Aspirationen des Bünd­nispartners Italien auf die „unbefreiten“ italienisch-sprachigen Gebiete der Donaumonarchie durch einen Präventivkrieg zuvorzukommen6). Sprecher, der de facto den Posten eines Schweizer Generalstabschefs inne­hatte, waren Conrads Pläne — die dieser auch in Zeitungsartikeln vertrat7) — bei seinem Gespräch mit Berlepsch sicher bekannt, sodaß er dem österrei­chisch-ungarischen Militärattachö praktisch das Anerbieten eines parallelen Vorgehens der Schweiz machen konnte: Im österreichisch-italienischen Kriegsfall würde die Schweiz ihre ganze Armee mobilmachen und „sowie Grenzverletzungen Vorkommen sollten, die durch italienische Freischaren je­denfalls zu erwarten sind, oder sobald an der Schweizer Grenze größere Truppenversammlungen stattfinden sollten, die auch Schweizerisches Ge­biet bedrohen, werde die Schweiz an Italien ein Ultimatum richten, das einer Kriegserklärung gleichkomme ...“. Weiters meinte Sprecher zu Attaché Berlepsch: „Gegenüber Italien werde sich die Schweiz aber absolut nicht defensiv verhalten, es falle dem Schwei­zerischen Generalstab gar nicht ein, sich auf ein Festhalten der Gebirgspässe zu beschränken, sondern die Schweizerische Armee werde über den St. Gott­hard und Splügen offensiv vorgehen . . .“. Wobei Sprecher auch nicht ver­gaß, durch den Hinweis auf die italienisch-französischen Verhandlungen, die es dem Apenninenkönigreich ermöglichen sollten, im Konfliktfall mit Drit­ten die französische Grenze von Truppen zu entblößen8), sowohl Conrads Mißtrauen gegenüber dem südlichen Verbündeten weiter zu schüren, als auch auf die Bedeutung der Schweizer Militärs als Nachrichtenquelle hinzuwei­sen, - ein Punkt, der für Conrad von größter Wichtigkeit war9). Stellte die Tendenz dieser Eröffnungen Sprechers für Conrad eine ebenso er­freuliche Mitteilung dar, wie sie für die Neutralität der Schweiz gefährlich sein mußte - schließlich konstruierte man aus ähnlichen Verhandlungen ab 1914 Belgiens Neutralitätsbruch10) -, so war die nächste Besprechung zwi­schen dem Schweizer Oberstkorpskommandanten und dem k. u. k. Militärat- taché sowohl vom Inhalt als auch vom Datum her noch wesentlich brisanter: 5) Jürg Schoch Die Oberstendffäre. Eine innenpolitische Krise 1915/16 (Bern - Frankfurt 1972) 26f. 6) Conrad Dienstzeit 1 63 u. ö.; Peter Fiala Feldmarschall Conrad von Hötzen­dorf (Wien o. J.) 18. 7) Ebenda 14 f. 8) Kriegsarchiv Wien (zit. KA) Conrad Archiv B 1 1908 53: Berlepsch an Conrad, 1908 Juni 26, Res. Nr. 5, Streng geheim. Hervorhebung im Original. 9) Conrad Dienstzeit 1 449. 10) Zuletzt etwa: Walter Görlitz Kleine Geschichte des deutschen Generalstabes (Berlin 1977) 135.

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