Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

HAAS, Hanns: Die Vereinigten Staaten von Amerika und die alliierte Lebensmittelversorgung Österreichs im Winter 1918/19

Amerika und die Lebensmittelversorgung Österreichs 243 erlassen, die mit den Worten endet: „ ... you will take such steps with the Czecho-Slovak National Council as may seem to you desirable“53). Damit hatte die amerikanische Regierung unverzüglich und vielleicht sogar noch vor den Ententevertretern in Prag interveniert. Die österreichische Regierung wies erneut am 10. Dezember, diesmal über den in die Schweiz entsandten Baron Slatin, das State Department auf die verschärfte Lage Wiens auf dem Energiesektor hin und ersuchte in äußerst dringlicher Weise um Einwirkung auf die tschechoslowakische Regierung. „Order cannot [be] kept in Vienna under such conditions and food will hold out until the end of the month“, so beendet Bauer sein Telegramm54). Wenige Tage später, am 13. Dezember, übermittelt die schwedische Botschaft dem State Department den Text einer Rede, die der Wiener Bürgermeister Weiß­kirchner anläßlich einer Zusammenkunft der neutralen Missionsschefs über die Kohlenfrage gehalten hatte. Der von Bauer mitunter zeichnete Text ist ein Beweis mehr für die grundsätzlich westliche Ausrichtung der österreichi­schen Regierung. „The inhabitants of Vienna have, during the last political revolution, in spite of all privations, carried themselves with unparalleled calm and consideration, but in the presence of such a catastrophy“ - gemeint ist das weitere Ausbleiben von Kohlenlieferungen - „no authority can take the responsibility for the maintenance of order“55). Diesmal läßt Oberst House die Wiener Regierung wissen, daß sie auf rasche Hilfe rechnen kön­ne56). Am 11. Dezember unterzeichnen Wien und Prag den Kohlenvertrag: Die Intervention der Westmächte zwingt die tschechoslowakische Regierung zum Einlenken57). Was die Lebensmittelversorgung Österreichs betraf, war aber — mit Aus­nahme der Schweizer Hilfe für Vorarlberg und Tirol, wie noch zu zeigen ist - Anfang November noch nichts in die Wege geleitet. Der Beschluß des Ver- saüler Kriegsrates vom 4. November zur Versorgung der befreiten Nationen harrte noch seiner Durchführung. Das State Department hatte am 24. No­vember, wie oben bereits erwähnt, der österreichischen Regierung lediglich mitgeteüt, daß die Siegermächte die Mittelmächte versorgen würden. Eine endgültige Entscheidung aber ließ bis Jahreswende auf sich warten. Vorerst mußte die Frage geklärt werden, welche Macht die Verfügungsgewalt über die Lebensmittelvorräte hatte. Der Erste Weltkrieg hatte eine außerordentliche Steigerung der amerikani­schen Lebensmittelproduktion bewirkt, da die Regierung den Farmern Lie­ferkontingente und Preisgarantien gewährt hatte58). Zudem hatten sich die 53) NA 695/24, ZI. 863.48/38. 54) FR PPC 2 649. 55) NA 695/24, ZI. 853. 48/62; siehe dazu FR PPC 2 654. 56) Slatin (Bern) an Benedikt Kautsky, 1918 Dezember 17: HHStA NPA Präs. 262 fol. 488. 57) Siehe Anffi. 9. 5S) Herbert Hoover Memoiren. Jahre der Abenteuer 1874-1920 (Mainz 1951) 215-247. 16*

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