Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)

HAAS, Hanns: Die Vereinigten Staaten von Amerika und die alliierte Lebensmittelversorgung Österreichs im Winter 1918/19

242 Hanns Haas als Deutschösterreich nicht vollständig von der Lebensmittel- und Kohlenzu­fuhr abgeschnitten und dem Elende preisgegeben ist“, legt Bauer in seinen Weisungen vom 25. November an den Gesandten Haupt in Bern für künftige Unterhandlungen fest48). Bauer macht aber auf die äußerst prekäre Lage vor allem in den Grenzgebieten aufmerksam. Die „Einbrüche“ der angrenzenden Nationalstaaten und daraus erwachsende wirtschaftliche Schwierigkeiten, schreibt er, „müssen unausbleiblich die Gefahr eines Bürgerkrieges in den betroffenen Grenzgebieten heraufbeschwören. Diese Bewegung würden sich alle jene Elemente zunutze machen, die den gegenwärtigen Staaten und ihren Staatsformen feindlich seien. Sie würden zum Umsturz und zum Bolschewi­kismus führen und unausbleiblich auch auf das Gebiet der neutralen und der Ententestaaten übergreifen“49). Sollte auf diese Weise „der Bürgerkrieg her­aufbeschworen werden, so würde allerdings zur Wiederherstellung des euro­päischen Friedens nichts erübrigen, als von auswärts mit bewaffneter Macht einzuschreiten“. „Diese äußerste Konsequenz bleibt aber im gegenwärtigen Augenblicke“ - heißt es abschließend - „außer Betracht, falls die Kultur­mächte geneigt sind, bei den Tschecho-Slowaken und den Jugoslawen dahin Einfluß zu nehmen, daß bewaffnete Angriffe auf deutschösterreichisches Ge­biet unterbleiben, und falls allen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen bezüg­lich der Behinderung der Lebensmittel- und Kohlenzufuhren tatkräftigst entgegengetreten wird“ 50). Mit dem Hereinbrechen der kalten Jahreszeit erlangte die Kohlenversorgung Wiens ganz besondere Bedeutung. Die österreichische Regierung habe in Übereinstimmung mit dem mehrfach geäußerten Wunsch der Regierungen der Vereinigten Staaten und der Alliierten alles daran gesetzt, innere Ord­nung und Frieden zu erhalten und eine Katastrophe zu vermeiden, ließ die Wiener Regierung das State Department wissen. Die anhaltenden Blockade­maßnahmen der Nachfolgestaaten stellten jedoch den Erfolg aller Bemühun­gen in Zweifel, weshalb Bauer ersuchte, die tschechoslowakische Regierung zur Lieferung der benötigten Kohlemengen zu veranlassen51). Das State De­partment war zwar längst über die tschechoslowakischen Blockademaßnah­men informiert, dennoch machten die jüngsten aus Wien eintreffenden Mel­dungen den größten Eindruck. Staatssekretär Lansing informierte am 18. November die amerikanische Delegation in Paris von einem Telegramm der österreichischen Regierung, das einen realistischen Einblick in die Wie­ner Kohlennot bot, nicht ohne anzudeuten: „The consequence to the public order, to safety of the population and property would be deplorable“52). Nach Beratungen mit Oberst House entschloß sich Lansing zwei Tage später, eine Weisung - offensichtlich an den amerikanischen Vertreter in Prag - zu 4S) Ebenda ad ZI. 473/1918, fol. 738. 49) Ebenda fol. 736. 50) Ebenda fol. 738. 51) Kabelbericht, enthalten in einem Brief des Schweizer Botschafters Sulzer an das State Department von 1918 November 21: FR PPC 1 633. 52) FR PPC 2 (1942) 632.

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