Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 32. (1979)
HAAS, Hanns: Die Vereinigten Staaten von Amerika und die alliierte Lebensmittelversorgung Österreichs im Winter 1918/19
Amerika und die Lebensmittelversorgung Österreichs 235 Das Deutsche Reich wiederum verfügte zwar über einen Vorrat an Lebensmitteln, der eine wirklich ausreichende Versorgung allerdings nur bis Ende Februar 1919 garantierte11). Nichtsdestoweniger drängte der Rat der Volksbeauftragten sofort nach dem Waffenstillstand auf Lebensmittelunterstützung von seiten der siegreichen alliierten und assoziierten Staaten; die Annahme eines entsprechenden Hilfeangebotes der russischen Sowjetregierung zog er nicht in Erwägung12). Österreich konnte unter diesen Umständen nur mit einer relativ unbedeutenden Hilfe rechnen. Als Ende November eine österreichische Regierungsdelegation in Berlin die Ernährungsfrage an- schnitt, wurde sie von der deutschen Regierung darauf verwiesen, doch auch ihrerseits Lebensmittel von den USA anzufordern13). So war Österreich, in einem Augenblick, als es mehr denn je von auswärtigen Lebens- und Energiezusendungen abhängig war, von seinen bisherigen Bezugsquellen weitgehend abgeschnitten. Soweit die angrenzenden Staaten selbst über die benötigten Hilfsgüter verfügten, nützten sie diese zur Durchsetzung territorialer und politischer Forderungen oder aber hielten sie in Erwartung günstiger Austauschgeschäfte mit anderen Staaten zurück. Das Deutsche Reich, dem sich Österreich ja angeschlossen hatte, gab von seinen ohnehin nicht allzugroßen Vorräten nur wenig ab. Da nun aber, trotz bescheidener Ansätze, ein normaler Wirtschaftsverkehr mit den bisherigen Partnern nicht möglich schien, wandte sich die Wiener Regierung an die siegreiche Koalition der Ententemächte und der USA mit der Bitte um Intervention in Prag in Fragen der Kohlenversorgung. Weiters ersuchte sie die Regierung der Vereinigten Staaten um Zusendung von Getreide und sonstigen Lebensmitteln. Gleichzeitig aber machte sie auf die Zuspitzung der sozialen Probleme aufmerksam und ließ keinen Zweifel daran, daß allein eine großzügige Unterstützung seitens der alliierten und assoziierten Mächte sie in die Lage versetzen könne, „Ruhe und Ordnung“ aufrechtzuerhalten. Die Informationen über die österreichische Ernährungslage blieben in den Siegerstaaten nicht ohne Eindruck. Die USA aber hatten die Verfügungsgewalt über die überschüssigen Ressourcen der westlichen Welt, und nur sie konnten die Versorgung Österreichs sicherstellen. Die Haltung der amerikanischen Regierung zur österreichischen Lebensmittelfrage, und zwar im Rahmen der interalliierten Beziehungen der unmittelbaren Nachkriegszeit, bildet den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Schon das österreichisch-ungarische Außenamt hatte die Feindmächte auf die prekäre Versorgungslage insbesondere der Alpenländer hingewiesen. Dem “) Klaus Schwabe Deutsche Revolution und Wilson-Frieden. Die amerikanische und deutsche Friedensstrategie zwischen Ideologie und Machtpolitik 1918/19 (Düsseldorf 1971) 269. 12) Ebenda. 13) Mitteilungen des Staatsamtes für Volksernährung über die Verhandlungen mit den alliierten Hauptmächten über die Lebensmittelversorgung der Republik Österreich in der Zeit vom Dezember 1918 bis Anfang Oktober 1919 (Wien 1920) 7.