Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 31. (1978) - Festschrift für Richard Blaas

Gottfried MRAZ: Die Bedeutung des „Anschlusses“ für die Beurteilung des Nationalsozialismus durch die römische Jesuitenzeitschrift „Civiltä Cattolica“

Beurteilung des Nationalsozialismus durch die „Civiltä Cattolica“ 507 Anschluß Österreichs vermieden hat, den nationalsozialistischen Terror ge­gen die deutschen Juden ausdrücklich als unchristlich zu brandmarken20). Ja sie mußte sich sogar gegen den von der Zeitschrift Regime fascista erhobenen Vorwurf zur Wehr setzen, daß der Faschismus in der Judenfrage, verglichen mit dem Rigorismus der Civiltä Cattolica, eine geradezu milde Haltung ein­nehme21). Eine definitive Abgrenzung zur faschistischen Rassenpolitik er­folgte erst zu Beginn des Jahres 1939 durch einen Artikel aus der Feder von Antonio Messineo22). Mit großer Sorge verfolgte die Civiltä Cattolica die politische Entwicklung in Österreich seit der Machtergreifung Hitlers im Deutschen Reich, gehörte doch der „Anschluß“ in den Kreis der ursprünglichsten politischen Forde­rungen des aus Österreich stammenden Reichskanzlers. Im Oktober 1934 verurteilte Angelo Brucculeri in einer Analyse der Weltla­ge23) schärfstens die Politik Hitlerdeutschlands, das in seinem übersteigerten Nationalismus eine Atmosphäre des Mißtrauens, der Unruhe, der Angst und des blind wuchernden Hasses geschaffen habe. Das neue Deutschland biete, so schrieb er, das Beispiel einer egoistischen Perversion: „L’esempio della nuova Germania d’oggi é il piü cospicuo e recente esempio di questa perver­sione egoistica“24), wobei das Ziel eines Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich nur die erste Etappe auf dem Weg zur Bildung eines Groß­deutschen Reiches bilde: „L’annessione dell’Austria adunque — aperta o per lo meno larvata - forma la prima tappa verso la Grande Germania“25). Denn wenn auch die entschiedene Haltung Italiens und sein zeitgerechtes und energisches Eintreten für die österreichische Unabhängigkeit den europä­ischen Frieden gerettet hätten, so bliebe dennoch eine dauernde, latente Ge­fahr für Österreich bestehen, denn „il nazionalismo nazista non cessa di bri- gare suile soglie austriache con manifesto peri colo della pace europea“26). Ein Jahr vor dem Anschluß Österreichs an Hitlerdeutschland erfolgte durch das päpstliche Rundschreiben „Mit brennender Sorge“ vom 14. März 1937 eine klare und umfassende Verurteilung des Nationalsozialismus durch Pius XI. Zusammen mit der wenige Tage später, am 19. März 1937 publizier­ten Enzyklika „Divini Redemptoris“, die ein feierliches Verdikt gegen den Bolschewismus russischer Prägung verkündete, ist sie eine deutliche Absage an den roten und braunen Totalitarismus. Damit waren autoritativ die Wei­chen für die künftige Haltung der Civilitä Cattolica in dieser Frage gestellt. 20) Mraz Kirche 142-162. 21) Regime fascista von 1938 August 30, mit Bezugnahme auf die antisemitische Ar­tikelserie von Raffaele Ballerini, die im Jahre 1890 in der Civiltä Cattolica erschien: CC 1890 ser. XIV, vol. 8 5-16, 385-397, 641-654. 22) Antonio Messineo Alia ricerca di una soluzione. Chiaramenti e distinzioni in CC 1939-1 203-213. Vgl. Mraz Kirche 157-162. 23) Angelo Brucculeri In fondo alia crisi in CC 1934-IV 137—149. Vgl. Mraz Kir­che 229-232. 24) CC 1934-IV 143. 25) Ebenda. 26) CC 1934-IV 144.

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