Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

RILL, Gerhard: Zur Geschichte der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien

österr. Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien 183 näre75 76), kam schließlich vor allem dem serbischen Panslawismus zugu­te. Der erbärmliche Zustand der Rajah besonders in Bosnien ist oft ge­schildert worden, und auch die Berichte der österreichischen Konsular­beamten enthalten zahlreiche erschütternde Nachrichten zu diesem Thema. Wenn die Beobachtungen der einzelnen Berichterstatter dabei in den wesentlichen Punkten übereinstimmen, so liefen doch die Prognosen in verschiedene Richtungen. Jovanovic etwa erachtete die christliche Be­völkerung für dermaßen demoralisiert und, besonders seit der Einfor­derung der Waffen durch Omer Pascha 1850, so sehr von „knechtischem Sklavensinn“ beherrscht, daß er einen „echten Aufstand“ nicht für möglich hielt76). Kurze Zeit vorher hatte Wassitsch prophezeit, die bei allen De­mütigungen noch vorhandene „Roheit“ der Bevölkerung, ferner die Un­möglichkeit, Recht und Wahrheit zu finden, da „jede Thatsache nach dem Partheistandpunkte“ ausgelegt werde, und schließlich das Fehlen jeglichen Ideenaustausches, bedingt durch den Mangel an Presse und Verkehrs­mitteln, lasse den Ausbruch eines Vernichtungskampfes in nächster Zu­kunft befürchten 77). Nach Jahrzehnten österreichischer Herrschaft erschien rückblickend die Situation in Bosnien um 1875 als „wüster Knäuel poli­tischer, religiöser und gemeiner Leidenschaften, ... eingehüllt in Blut­dunst und Rauchqualm“78). Die österreichischen Konsuln haben diesen Zustand sicher nicht wesentlich beeinflussen können, doch hat umgekehrt diese Atmosphäre eine nachhaltige Wirkung auf die Arbeit der Beamten ausgeübt und speziell im Bereich der Konsulargerichtsbarkeit Fragen, die anderswo als Routineangelegenheiten erledigt wurden, zu Objekten här­tester Konsequenz und extremen Energieaufwandes aufgewertet. Das bos­nische Chaos und die Radikalisierung aller Gegensätze waren letztlich die Ursache dafür, daß gerichtliche Verfahrensfragen infolge eines Pferde­diebstahls Eingang in einen zwischenstaatlichen Notenwechsel finden konnten. VI Als im Oktober 1878 die Okkupation als abgeschlossen betrachtet werden konnte, endete damit keineswegs die Amtstätigkeit der Konsulate in Bosnien und Herzegowina. Als gegenstandslos erwiesen sich von Anfang 75) Instruktion für Jovanovic, 1862 April 11: ebenda. 76) Bericht Jovanovic, 1862 Mai 20: ebenda. 77) Bericht Wassitsch, 1860 März 23: Admin. Reg F 8/32 (Bihac). 78) Sosnosky Balkanpolitik 1 119. Über die Zustände in Bosnien außer den schon genannten Werken von Helfert und Schweiger-Lerchenfeld vor al­lem Josef Koetschet Aus Bosniens letzter Türkenzeit (Zur Kunde der Bal­kanhalbinsel 2, Wien—Leipzig 1905) und für das Jahr 1878 die ungedruckte phil. Diss. von Engelbert D e u s c h Balkanprobleme im Jahr 1878 im Lichte der österreichisch-ungarischen Konsulatsberichte (Wien 1961).

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