Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

RILL, Gerhard: Zur Geschichte der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien

Österr. Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien 171 Staatsbürger zu verteidigen. Aus den übrigen Fällen aber kristallisieren sich drei Schwerpunkte heraus, in denen die Gegensätzlichkeit der Rechts­auffassungen unüberbrückbar scheint: die Bewertung christlicher Zeugen­aussagen, die Ermittlung der Staatsbürgerschaft und die Strafgerichts­hoheit türkischer Gerichte über österreichische Untertanen. Nicht die in der Theorie für das gesamte Osmanische Reich gültigen Kriterien sind hier von primärem Interesse, sondern jene Lösungen, die von den örtlichen Verhältnissen und der Gesinnung der Behörden ebenso bestimmt waren, wie von den rechtlichen Voraussetzungen. Zwei Jahre vor der Einrichtung des bosnischen Konsularwesens hatte der Internuntius in enger Zusammenarbeit mit dem britischen Botschafter in Konstantinopel, Sir Stratford Canning, den Versuch unternommen, einen Pfortenerlaß zu Gunsten des christlichen Zeugnisses im Sinne der Gleichwertigkeit gegenüber der unter Eid erfolgten Aussage eines mohammedanischen Zeugen zu erreichen. Der Botschaftsdolmetsch, Theo­dor von Schwarzhuber, sprach damals bei Aali Pascha vertraulich vor und erhielt folgende Antwort: Eine Beilegung der Frage im Sinne der Internuntiatur wäre vorzüglich und ganz den hehren Idealen des Sultans, alle Menschen vor dem Gesetz als gleich einzustufen, entsprechend. Die Frage wäre nur, wie man die bis auf den heuti­gen Tag bestehende Verschiedenheit der Zeugnisse abschaffen könne, — „car malheureusement la loi qu’il s’agirait d’abroger se trouve en tous lettres dans le Koran ..Eine Bereinigung der Frage in europäischem Sinne würde daher zugleich eine Teilliquidation des heiligen Buches der Muslim bedeuten! Ohne auf die vordergründige Ironie dieser Bemerkung einzugehen, steuer­te das österreichische Außenministerium ein Ergebnis an, das eine offiziel­le Aktion der europäischen Mächte nach Möglichkeit überflüssig machen und damit die türkische Regierung nicht in Schwierigkeiten gegenüber den fanatischen Muslim bringen sollte. Man regte an, das „nebenliegende Feld der administrativen Praxis zu betreten“, das heißt, in der Krimi­nalgerichtsbarkeit eine Lösung zu finden, die auf anderem Gebiet, etwa in den Kammertribunalen, schon existierte: Unter Schonung des religiösen Fundamentes sollte somit die Rechtsgrundlage nicht angetastet, sondern im Einvernehmen mit der Pforte die Deduzierung der Jurisdiktionspraxis aus dem Korangesetz unterbunden werden 40). Diese Verlagerung auf das „nebenliegende Feld“ schien im Frühjahr 1854 deutlichere Formen auch für Bosnien anzunehmen, als ein Ferman die Organisierung eines hier noch unbekannten neuen Gerichtstypus, des „Un­tersuchungsgerichtes“ (tahkik medslis), das in anderen Teilen des Osmani- schen Reiches bereits existierte, ankündigte. In erster Begeisterung glaubte der sonst eher skeptisch urteilende Athanaskovic, daß von nun an die Zeugenschaft von Christen und Juden — auch gegenüber Mohammeda­nern — möglich sein werde; der vorgerufene Zeuge werde in gleicher 40) Korrespondenzen Stürmers 1848 Jänner—März in Admin. Reg. F 30/16 (Zeugen 1848—1854).

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