Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 29. (1976)

DIRNBERGER, Franz: „200 Jahre Burgtheater“. Auf der Suche nach einem Jubiläum

206 Franz Dirnberger Zeitzustände in der Darstellung gleichsam fortsetzen, und auch die (teil­weise wieder) abgedruckten Texte entsprechen nicht ganz den üblichen Editionsgrundsätzen —, bietet eine Reihe neuer Aspekte. Unter anderem ergibt die Lektüre, daß Maria Theresia im Interesse und in der Einfluß­nahme auf das Kultur- und Theaterleben mindestens gleichwertig neben ihrem Sohn dasteht, aber auch, daß sich Joseph weitaus früher und inten­siver um das Theater kümmerte, als bisher angenommen wurde. Doch auch der entschlossene Angriff, den Zechmeister mit den Mitteln seiner Erkenntnisse gegen das verfälschte Geschichtsbild unternimmt, verebbt bei den Vorgängen des Jahres 1776. Joseph II. hat sich also viel früher mit den Hoftheatern beschäftigt. Natürlich dürfen diese Handlungen nicht überbewertet werden. Ein Blick in die erwähnten Handbillettenprotokolle gibt vielleicht am eindrucks­vollsten das Arbeitsprogramm und die Interessenstreuung des Kaisers wieder * 116). Der weitaus größte Teil der kaiserlichen Handschreiben be­inhaltet natürlich die hohe Politik und militärische Angelegenheiten. Wei­ters finden sich chronologisch neben Anweisungen an Verwaltungsstellen und Personalangelegenheiten auch weniger bedeutsame Dinge, wie die Entfernung eines Kastanienbaumes irgendwo, dann die Vorsorge für die Straßen Wiens oder Aufträge betreffend die kaiserlichen Schlösser etc. — oder etwa ein Schreiben betreffend die Theater. Dieses letztgenannte Schreiben zeigt, wie Joseph die Entwicklung im Koháry’schen Unter­nehmen verfolgt hat: N. 47, Handbillet an Fürst Carl von Liechtenstein vom 27. Dezember 1774. „Lieber Fürst von Liechtenstein! Da zu Nehmung eines Entschlusses über den von der ungenannten Gesellschaft gemachten Vorschlag die Vorsicht und Bil­ligkeit erfordert, vorläufig annoch unpartheyischer, gemütsbilliger und Gerichts erfahrener Männer Meynung abzufordern, so ist in diesem Sinne und nicht aber als eine rechtliche Entscheidung das letzte Handbillet an Ihnen erlassen wor­den, bey welchem es seinen ohnabweislichen Bestand behaltet, nemlich: daß der Hof vor jezto überzeiget worden, daß nicht billig und folglich auch nicht möglich seyn, daß Er den Kohari und seiner gerichtlich ihm gegebenen Admi­nistration das Privilegium auf die vorgeschlagene Art dermalen benehme. Es bleibet also der Gesellschaft vor jetzo nichts übrig, als entweder ihre ohneigen- nützige Liebe für das Theater lüstige (!) Publikum mittelst gütlicher Einverste- hung mit dem Kohari und die ihm gerichtlich vorstellen, oder mittelst Abwar­tung einer besseren Gelegenheit zu beweisen, welches Sie ihnen vor aller Eingehung in die weitere Bedingnis zu wissen machen werden.“ Joseph II. scheint kein Mann einsamer Entschlüsse gewesen zu sein — zu­mindest damals noch nicht; die meisten Probleme kamen im Staatsrat zur Sprache, wie die Protokolle beweisen. „Vorsicht und Billigkeit“ er­forderte aber die Meinung „unpartheyischer, gemütsbilliger und Gerichts ne) Die Anzahl der Handbilletten in Theaterangelegenheiten beträgt: 1774 1, 1775 3, 1776 10, 1777 2, 1778/79 0, 1780 3, 1781 2, 1782 3, 1783 6, 1784 21 (gegenüber mehr als 2000 anderen Inhalts, d. i. l°/o. Italienreise des Kaisers!), 1785 9, 1786 8, 1787 2, 1788 10, 1789/1790 0.

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