Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 29. (1976)
DIRNBERGER, Franz: „200 Jahre Burgtheater“. Auf der Suche nach einem Jubiläum
,200 Jahre Burgtheater“ 205 das „Burgtheater“ nie vom exklusiven Hof- und Adelstheater zum Volkstheater geworden ist, wie Michtner es für das Jahr 1776 annehmen wollte114); daß die Logen- und Sperrsitzabonnenten, deren Namen in den Rechnungsbüchern überliefert sind, dem Adel angehörten und die Sitze im „Pöbel“-Parterre und in der Galerie (diese Plätze waren gleich teuer) immer nur vom einfacheren Volk, den Bürgern und den Geldleuten eingenommen worden sind; daß repräsentationsbeflissene Geldleute und der niedere Adel bemüht waren, „unten“ bzw. in den Sperrsitzen der Galerie (die mit jenen im Nobelparterre preisgleich waren) Plätze zu bekommen, wie es ebenso verständlich ist, wenn glaubhafte Berichte wissen wollen, daß Adelige „oben“ sich blicken ließen, weil es dort unterhaltsamer war, oder aus anderen Gründen. Zechmeister und andere haben schon einiges herausgearbeitet. Würde besagtes Institut nicht darauf festgelegt sein, die Untersuchungen erst ab 1776 beginnen zu lassen, wäre eine Menge Neuigkeiten zu erwarten, soferne dies in der Kürze der für die Vorarbeiten zur Verfügung gestandenen Zeit überhaupt möglich war. Nur: das einfachere Volk hatte schon immer ein Recht, ins Theater zu gehen, nicht erst seit Joseph II; abgesehen davon haben die Bürgerlichen den Adel immer zu kopieren versucht114a). Zechmeister will glaubhaft machen, daß „die Vorgänge um die Erhebung des Theaters nächst der Burg zum National theater bisher mangels aktenmäßiger Belege ziemlich undurchsichtig gewesen“ wärenU5). Nun, so undurchsichtig waren die Vorgänge auch wieder nicht! Die Keglevics-Pa- piere sind natürlich sehr wertvoll für die Jahre vor 1776, sie bieten eine nützliche Ergänzung zu den bislang bekannten Materialien; die wichtigsten Fakten lassen sich aber schon den Handbillettenprotokollen entnehmen, jenen Abschriften der kaiserlichen Handschreiben, welche von Ka- binettssekretären zu Nachschlagezwecken (des Kaisers) angefertigt worden sind. Gleichwohl hat Zechmeister das Verdienst, die Theaterakten im Familienarchiv Keglevics erstmals benützt und mitverwertet zu haben. Sein Buch, das zwar etwas mühsam zu lesen ist — man findet weder eine chronologische noch thematische Ordnung, so daß sich die verworrenen ii4) Michtner Burgtheater 27. ii4a) Während des Druckes dieses Aufsatzes erschien der erste von vier geplanten Bänden: Das Burgtheater und sein Publikum. Festgabe zur 200-Jahr- Feier der Erhebung des Burgtheaters zum Nationaltheater. Hg. von Margret Dietrich (Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte 305 = Veröffentlichungen des Instituts für Publikumsforschung 3) 1 (Wien 1976) 740 S., 24 Taf. Die Beiträge von Otto G. Schindler (Das Publikum in der josephinischen Ära), Johann Hüttner (Das Publikum in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts) und Elke Calaitzis (Das Publikum von Wilbrandt bis zum Dreierkollegium) liefern genug Beweise zu den angeschnittenen Problemen. Dagegen ist die Studie von Heinz Kindermann (Joseph Schreyvogel und sein Publikum) als Plädoyer zur Rettung des in letzter Zeit etwas angekratzten Nimbus von Schreyvogel als mißglückt zu bezeichnen, ns) Wiener Theater 93.