Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)

GÖRLICH, Ernst Joseph: Ein Katholik gegen Dollfuß-Österreich. Das Tagebuch des Sozialreformers Anton Orel

414 Ernst Joseph Görlich 11. März, 11 Uhr bei Miklas. Sie übernimmt es, den Bundespräsidenten zu bewegen, daß er Schuschnigg und uns zu einer Aussprache über die Sozial­reform einlade. Abends bin ich bei Schodl42) und gehe dann mit ihm 9—11 Uhr auf die Ringstraße. (47) [Nach der Katastrophe]. Im Mai (1938) besuchte mich Abt Wiesinger. Er meinte, in H(itlers) M(ein K(ampf) sei nichts enthalten, was vom katholischen Standpunkt aus abzulehnen wäre. Anders R(osenbergs) M(ythos). Der Bischof von Linz habe ihm unter Kopfschütteln gesagt: „Die Zustände unter den Bischöfen! Und unser Kardinal in seinem ewigen Optimismus!“ 24. Juli in Steinbach. Zusammentreffen mit Gorbach und Oppoltzer. Erster erzählt von seinen Erfahrungen mit der Zensur des Zwei-Pfennig-Blattes: Suchet zuerst das Reich ..., Der hlg. Joseph ist ein Helfer in allen Nöten der Seele und des Leibes. Oppolzer: „Der junge Klerus ist zu allem be­reit.“ Er sei illegaler Nationalsozialist gewesen und jetzt wie alle Priester aus­geschlossen. Dabei habe man ihm gesagt: „Legen Sie Ihren Gewerbeschein ab und kommen Sie zu uns. Sie bekommen eine Stelle mit 1000 Mark monatlich.“ Kardinal eine Null, Kamprath zusammengebrochen. Kral (?) erzählt mir, daß Nächstverwandte (Schwestern des Vaters) von Winter, gleichen Namens, in Favoriten jüdische Geschäftsfrauen sind und zum Straßenwaschen herangezogen wurden. 30. Mai 1939. Der Buchhändler Ferdinand Heidrich erzählt mir, er sei zur Zeit der Aktion der Bischöfe gegen die Oeconomia in der Buchhandlung Mayer angestellt gewesen. Auf das Erscheinen der Kundgebung der Bischöfe gegen die Oeconomia hin sei eine sehr starke Nachfrage, besonders von geistlicher Seite, eingetreten. Insbesonders hätten damals Kardinal Piffl und zwei Weih­bischöfe bei Mayer die Oeconomia gekauft. (48) Nachklang. 21. März 1941. Bei Dr. Kerk43). Nach Erkundigung über seine Gesundheit frage ich: „Wie denken Sie über die gegenwärtige Situation?“ Kerk: „Wir sitzen auf einem Pulverfaß.“ Ich: „Sind Sie noch Nationalsozialist?“ Kerk: „Ich bin echter Nationalsozialist.“ Die Methoden, die jetzt zur Anwendung kom­men, müsse er ablehnen. Die Idee sei gut. Die Sache mit den Irren sei abge­stellt worden. Sie sei nicht von der obersten Führung ausgegangen. Beweis da­für sei, daß z. B. im Gau Westfalen nichts derartiges geschehen sei. Ich: „Sind die Schuldigen aufgehängt worden?“ Antwort: Schweigen. Er später, die Schuld am Niedergang Europas im Mittelalter treffe die katholische Kirche. Der Na­tionalsozialismus sei die letzte Hoffnung. Was solle noch nachkommen? Wenn er jetzt nicht siege, dann ist die Welt verloren. Beweis für das negative Wir­ken der Kirche: Hexenverfolgungen. Rosenbergs Mythos habe er 5mal gelesen. Ich: Schande für das deutsche Volk. Kompilation sämtlicher aufklärerischer und jüdischer Lügen. Beispiel: Albigenser. Kerk: Das interessiere ihn. Kurz­sichtigkeit der Katholiken. Im Mythos habe er nichts gegen das Christentum gefunden. Es werde eine systematische Gegenpropaganda betrieben. Ich wün­sche Erklärung Pulverfaß. Er sagt: „Das Untermenschentum, die überaus zahl­reichen asozialen Elemente bilden eine dicke Schicht.“ Je größer die Ausdehnung der Ordnungsmacht über weite besetzte Länder werde, desto dünner werde die 42) Druckereibesitzer in Wien, alter Anhänger Orels. 43) Vertreter der Abstinenz- und Lebensreformbewegung.

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