Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)
GÖRLICH, Ernst Joseph: Ein Katholik gegen Dollfuß-Österreich. Das Tagebuch des Sozialreformers Anton Orel
Tagebuch Orel 399 kulturrat Beamter der Regierung. Was ist, wenn der Kanzler ihm sagt: „Sie, was ist denn mit dieser sozialen Aktion. Orel? ..Über sich selbst sagte er: „Ich bin schon in dem Alter, in dem man sich mit seriösen Dingen befassen soll“. Ein „Klostemeuburger“!!! Die Regierung werde die soziale Aktion als politisch erklären. (33) Pfarrer Dr. Frey, Großjedlersdorf, sagt mir am 1. III. 1937 telefonisch, die Aktion könne nur von der Leitung ausgehen, sonst werde sie alsbald unterdrückt werden. (34) Kooperator, Sandleiten. P. Boegle empfahl mir, ihn zur Mitwirkung heranzuziehen. Ich besuchte ihn am 5. III. Er hielt aber meinen Darlegungen entgegen: sie seien utopisch. Alsbald, wenn die Bewegung in Fluß komme, werde sie vom Kardinal verboten. Es gebe derzeit nur zwei Wege: 1. den legalen, die Autoritäten, die Regierung zu gewinnen; 2. den illegalen der Revolution. Er hält dafür, daß der Kapitalismus nur durch eine furchtbare Revolution beseitigt werden könne. Es werde bei der europäischen Gesamtlage nicht anders als durch den Bolschewismus geschehen können. Österreich sei nicht lebensfähig und nicht imstande, für sich eine gründliche Beseitigung des Kapitalismus durchzuführen, weil dazu annähernd Autarkie erforderlich wäre. Auch sei die Meinung, daß die Regierung auf die Monarchie zusteuere, nur Unsinn; nur die Majore dächten daran. Er sei auch dagegen. Er meint richtig, nur eine neue Eigentumsverteilung könne den Kapitalismus überwinden; das ginge aber nur auf gewaltsamem Wege. Es werde wohl zu einer neuen Synthese zwischen Christentum und einem veränderten Bolschewismus kommen. Um die katholische Aktion zur sozialen Aktion zu bringen, wäre es nötig, die Bischöfe für ein klares Programm zu gewinnen. Nur wenn sie es und eine Aktion dafür billigen, könne sie gemacht werden. Er sei aber viel pessimistischer als ich, er halte die Reform ohne, beziehungsweise vor der Revolution für nicht mehr möglich. 6. März bei Pfarrer Jungbauer. Neue Besprechung notwendig. 8. März bei Dr. Hartmann, Währing, über Vorschlag P. Boegles. Er verspricht, mich zum Vortrag in der sozialen Runde einzuladen. (35) Bei D r. Alt, 9. III. 1937. Er ist voll Enthusiasmus für diese .große Sache“, will eine Versammlung beim Lembacher veranstalten. Er macht die Äußerung: „Unser Klerus gehört an die Bolschewiken zur entsprechenden Behandlung übergeben“. So erkennt er das Versagen der großen Mehrheit. (36) Vertrauensperson, Versammlung Jedlesee. 11. März, über Einladung des Dechanten Angeli. Vor der Versammlung befragt er mich ängstlich, aufgeregt, ganz rot im Gesicht: „Was werden Sie sagen?“ (Ich reiche ihm die Disposition). „Nur nicht zu schwarz malen. Die Regierung nicht angreifen. Die Bischöfe nicht angreifen .. In der Versammlung tritt mir Mander entgegen: er kenne mich seit 40 Jahren. Ich sei ein Idealist reinsten Wassers. Aber mir fehle die Klugheit. Ich wolle wieder etwas eigenes anfangen. „Gehen Sie zu denen drinnen und sagen Sie ihnen das, was Sie uns gesagt haben, wühlen Sie ihr Gewissen auf. Wenn dann von drinnen die Weisung kommt, folgen wir alle. Aber ohne das geht es nicht“. Ein Funktionär, scheinbar der Obmann, ladet mich ein, in der nächsten Männerversammlung zu sprechen. Es wird der 4. April ausgemacht. Dechant wünscht Sofortprogramm.