Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)
GÖRLICH, Ernst Joseph: Ein Katholik gegen Dollfuß-Österreich. Das Tagebuch des Sozialreformers Anton Orel
394 Ernst Joseph Görlich halten (den er eine Woche vorher wegen Überbürdung abgesagt hatte). Bürgermeister Richard Schmitz erklärte ihm am Vormittag des 16. telefonisch: „Ich wünsche nicht, daß die romantische Richtung wieder zum Leben erweckt werde“. (19) Asperger und Oec[onomia] P er [enni s]. Heute, 11. März 1936, war ich wegen Enthüllung der Vogelsang-Gedenktafel bei Ob.-Mag.-Rat Dr. Asperger. Dabei sagte er mir: „Ich bin der einzige Magistratsbeamte, der Ihre Oeconomia Perennis gelesen hat — alle fünf Bän- d e“. Es sind aber nur — zwei erschienen. (20) Gespräch mit Bischof Hudal23). Am 23. März 1936, Dauer % Stunden. Auf seine Frage, wie es mir gehe, erwiderte ich eingangs: „Menschlich gesprochen schlecht. Denn ich arbeite und kämpfe beständig für die gute Sache und bin dafür verfemt und ausgestoßen und an die Wand gedrückt. Ich sehe alles zugrunde gehen, weiß, wie zu helfen wäre, sage es auch immer wieder, aber man hört mich nicht, sondern steinigt mich dafür — und ich kann nicht helfen, weil ich machtlos bin“. Er entgegnete: „Prophetenschicksal!“ — Ich schilderte ihm eingehend die traurigen kirchlichen Zustände, insbesonders auch auf den Bischofsstühlen. Zum Schluß sagte er, schon Kaiser Franz Joseph habe das Prinzip durchgeführt: Auf die Bischofsstühle brave Leute — aber nicht über den Durchschnitt! (Ob das nicht auch in Rom so gehandhabt wird?). — Ich sagte ihm, daß ich ihn deshalb informiere, damit er in Rom wirken könne. Bat ihn auch, dem Papst unsere Denkschrift zu überreichen. Er verlangte drei, eine auch für Pacelli und eine für ihn selbst. Er sei immer mit unserer sozialen Einstellung einverstanden gewesen, schon in der Zeit seiner Mitarbeit bei uns in Kindberg. Christlich-nationalsozial sei die richtige Parole. Die Arbeiterschaft werde immer die große Mehrheit der Menschheit ausmachen, und schon deshalb müsse die Kirche immer für sie reden. Hier hakte ich sehr stark und immer wieder ein: Nicht reden, sondern durch Taten für sie kämpfen, das sei notwendig, auf die schönen Worte geben die Leute nichts mehr, sie verlangen mit Recht Taten, Kampf an der Seite des Proletariates. Er erwähnte, er habe den 2. Band meiner Oec. Per. gelesen: „Die Kongregationen haben der Entscheidung auszuweichen versucht“. — Ich fragte, ob er nichts zuverlässiges über die Stellung des Papstes zur Oec. Per. mitteilen könne; ich wüßte, daß der Papst sie gelesen habe, könne aber sonst nichts erfahren. Er darauf: „Sie wissen doch, daß das Buch nicht verboten wurde — da wissen Sie doch alles!“ (Ich vermute, daß er über den 2. Band ein Gutachten abzugeben hatte). Auf meine Frage, ob er mir nicht einen Rat geben könne, was wir für eine Besserung der kirchlichen Lage tun könnten, meinte er, wir sollten einen Kreis von Leuten zusammenkriegen, der, nach guter Vorbereitung, auf einer Tagung in knappen Punkten ein Programm aufstelle darüber, was geschehen müßte. Dieses solle den maßgebenden Stellen unterbreitet werden. (21) Gespräch mit Kard[inal] Innitzer. Am 31. März 1936. Er begrüßt mich scheinbar freudigst: „Das freut mich, daß ich Sie nach so langer Zeit wieder sehe!“ Dann fragt er, was für eine * 23) Bischof Hudal galt als der Mann, der den Nationalsozialismus mit der katholischen Kirche versöhnen wollte.